Die Handlung ist schnell erzählt, Rahul (Shah Rukh Khan), der Sohn von Captain Mehra (Dalip Tahil) hat sich bereits im College in Kiran (Juhi Chawla) verliebt, ist aber zu schüchtern, sich ihr zu öffnen. Er hat seit dem traumatischen Verlust seiner Mutter einen Knacks weg. Der ständig abwesende Vater bemerkt nicht, dass sein Sohn Hilfe braucht. Er hat nicht die Zeit oder Geduld, oder nimmt sie sich nicht, hinter die Maske des unbeholfenen, schüchternen Jungen zu blicken und dieser richtet seine zwanghafte, unerfüllte Liebe auf die ahnungslose Kiran. Diese hingegen verliebte sich in den Soldaten Sunil Malhotra (Sunny Deol), der unter Captain Mehra dient, und die beiden wollen heiraten. Sie ahnen nichts von Rahul und seiner obsessiven Liebe, die nur in seiner Vorstellung von Kiran erwidert wird, und seinem Vorsatz, Kiran aus der vermeintlich erzwungenen Verbindung mit Sunil zu befreien, im Notfall auch über dessen Leiche.
Was am Anfang noch harmlos erscheint, nimmt beängstigende Züge an, als Rahul am Telefon mit seiner seit 18 Jahren toten Mutter über seine Liebe redet und anfängt, Kiran zu verfolgen. Besonders eindrucksvoll des Nachts, mit gänsehautverursachenden Telefonanrufen, aber auch am Tag mit einer irren Holi-Einlage. Nach einem misslungenen Mordanschlag auf Sunil heiraten die beiden und flüchten in die Schweiz, um dem Psychopathen zu entkommen…

Achtung Spoiler!!!

Darr, Shah Rukh Khans wohl berühmtester Film brachte eine neue Rasa (Emotion) in den Bollywoodliebesfilm: die Angst. Angst vor der unerwiderten Liebe, Angst vor dem Verlust eines geliebten Menschen, Angst davor, das sich dessen Liebe ändert. Doch diese Angst ist auch der Strick, der jede Liebe abwürgt.
In diesem Film, der die Geschichte des obsessiv liebenden Rahul erzählt, steht die Angst als ultimativer Inbegriff für Leidenschaft, Besessenheit und letztendlich auch Verzicht. Rahuls besessene Liebe zu Kiran macht ihn immun gegen die Angst vor Leben und Tod und am Ende begrüßt er den Tod, der ihn von seinem Elend der unerwiderten Liebe erlöst. Kirans Angst ist es, in dem Konflikt zwischen ihrem Verlobten Sunil, der sie liebt und beschützt, und dem unbekannten Stalker, der sie liebt und besitzen will, ihre Liebe zu verlieren. Sie ist gefangen zwischen den beiden Klingen einer Schere und droht zu verlieren. Sunils Angst um Kiran gibt ihm die Kraft, die Angst vor dem Tod überwinden, um seine Geliebte zu retten.

Darr ist der ultimative Konflikt zwischen Liebe und Leidenschaft, Liebe und Besessenheit, Liebe und Leben, Liebe und Verzicht. Die Liebe wird immer siegen, auch wenn sie am Ende verzichtet und aufgibt, denn sie ist stärker als Leben und Tod.
Der Zuschauer wird in den Film raffinierterweise ganz untypisch aus der Perspektive des Stalkers eingeführt und dieser Blickwinkel wird auch beibehalten. Er sieht die Handlung gleich von Anfang an durch dessen Augen. Darr ist ein verstörender, beängstigender Film, bei dem am Anfang eigentlich schon das Ende feststeht. Stalker verfolgt süßes Mädel, der Freund des Mädchens verfolgt den Stalker und bringt ihn um. Ende, aus. Der Böse ist tot und der Gute triumphiert. Das Publikum ist’s zufrieden und Recht und Ordnung sind wieder hergestellt. Sicher. Einleuchtend. Wenn der Bösewicht nicht gerade Shah Rukh Khan gewesen wäre. Ansonsten hätte es ganz sicher funktioniert. Bestimmt. Nur so eben nicht.
Mit diesem bis zum Ende hin spannenden Film ist Yash Chopra 1993 nach einer Durststrecke zweierlei gelungen, erstens wurde der eigentlich nicht allzu spektakuläre Film zum zweiterfolgreichsten Film des Jahres und zweitens wurde er, vielleicht unbeabsichtigt, zu Shah Rukhs Film und damit zu einem wichtigen Meilenstein in seiner Karriere. Zumindest von Seiten Sunny Deols war das so nicht gedacht. Er war der strahlende Held in dem Film, der seine Liebe vor einem irren Stalker rettet und mit ihr in den Sonnenuntergang reitet. Er hat eigentlich die Bäume umschlängelnden Liebessongs und netten Szenen mit der Heroine. Eigentlich.
Die Auswirkungen nach der Premiere des Filmes dürfte inzwischen jeder kennen. Sunny warf Yash Chopra vor, ihn hintergangen und einen ganz anderen Film gedreht zu haben als vereinbart, indem er beim Höhepunkt den Bösen im Film rechtfertigte. Denn die Sympathien der Zuschauer lagen ganz eindeutig bei dem tragischen Helden Shah Rukh, eigentlich ein Unding. Aber wie schon in Baazigar reagierte das Publikum eben ganz anders als erwartet, es liebte Rahul und fieberte mit ihm, als sich die Schlinge immer enger zog, litt mit ihm, als er von Sunil verprügelt wurde. Der erst überraschte, dann resignierende und unendlich traurige Blick von Rahul, als Kiran beim Finale in einem Boot auf dem Genfer See ,Kill him, Sunil!’ ruft, traf die Menschen mitten ins Herz. Er gibt auf und lässt sich von Sunil windelweich schlagen, nimmt den Tod aus seiner Hand fast erleichtert entgegen. Und wir begreifen, dass er den Tod als Erlöser willkommen heißt.

Hätte das auch bei einem anderen Schauspieler funktioniert? Das ist hier die große Preisfrage. Denn Shah Rukh spielt einen Bösewicht nicht als Bösewicht, sondern als Menschen, der aus dem richtigen Grund das falsche tut und die Konsequenzen trägt. Er mag eindeutig irre sein, das Mädchen terrorisieren, Sunil versuchen zu töten, doch er wird nie unsympathisch. Sein Sexappeal hat damit rein gar nichts zu tun, hust, neeeiiinnn… Auch nicht, das er mal wieder an seinem Sandelholzkörper rumschnitzeln darf…
Shah Rukh spielte mit den Sympathien der Zuschauer, das ihn unheimlich und anziehend zugleich fand und kreierte damit den Antihelden. Sunny Deol fühlte sich so betrogen, das er keinen Film mehr mit den Chopras drehte und bis vor kurzem nicht mal mehr mit Shah Rukh redete. Doch Schuld ist hier nicht die Handlung allein, sondern auch einfach Shah Rukhs größeres Talent und seine unübertroffene Fähigkeit, in jeder Rolle das Publikum auf seine Seite zu ziehen. Der hölzern spielende Sunny hatte einfach keine Chance, man fragt sich eher, was Kiran nur an ihm gefunden hat, denn er ist auch nicht gerade geschickt in der Wahl seiner Liebesbeweise. Über sein äußeres Erscheinungsbild hülle ich gnädigerweise den Mantel des Schweigens.
Auch ist seine Rolle einfach nicht sympathisch angelegt. Allein die Eröffnungsszene, die wohl heroisch sein sollte, ist einfach nur albern. Die machomäßige Geste, als er sich das Tuch umbindet, bringt mich bloß zum würgen. Für den Helden ist er schlicht und einfach zu eindimensional und unbeeindruckend. Er ist nicht glaubwürdig, die Liebe zwischen Kiran und Sunil nicht nachvollziehbar. Vielleicht hätte ein anderer Gegenspieler es für Shah Rukh schwerer gemacht. Vielleicht.

(Einen großen Sympathiepunkt bekommt Sunny Deol allerdings bei mir. In der Szene auf dem Boot hat er Shah Rukh vor einem tiefen Sturz bewahrt und vermutlich das Leben gerettet. Und ich mag seinen Bruder, Bobby Deol…)
Und spätestens in der Schlussszene hassen wir ihn. Kollektiv. Einvernehmlich. Da hat der Kerl eine Pistole und was tut er? Dem Ganzen schnell ein Ende machen, oder vielleicht den armen Irren in Gewahrsam nehmen, um ihn der Gerichtsbarkeit zu übergeben? Nahin. Wäre ja auch zu einfach und unblutig gewesen. Er muss Rahul ja unbedingt halbtot prügeln und ihn sadistischerweise durch diverse Fenster werfen, anstatt ihn einfach zu erschießen. Damit sammelt er keine Pluspunkte beim Publikum. Eigentlich müssten wir uns ja mit dem Helden über den Sieg freuen, aber bei der letzten Szene im Flughafen, als sich die Sieger über Rahul lustig machen, bleibt einfach nur ein schaler Geschmack zurück.

Juhi hat außer verängstigt auszusehen nicht viel zu tun in dem Film, was eigentlich schade ist. Sie ist niedlich wie immer und spielt die Angst sehr gut. Doch die intimeren Szenen zwischen Kiran und Sunil sind eher langweilig und prickeln nicht, der Funke springt nicht über. Da nützen auch die Schweizer Alpen nichts.
Anupam Kher spielt als Onkel von Kiran den eher nervigen Comic Relief und die Verbindungsfigur zwischen Rahul und Sunil. Er wird von Rahul benutzt, da er nur den netten Jungen sieht und ihm unfreiwillig den Aufenthaltsort verrät, als er glaubt, der Stalker hätte Selbstmord begangen. Hier benutzt Chopra den Kunstgriff mit dem vermeintlich Schuldigen, der tot und damit aus dem Rennen ist. Ein Freund von Rahul ist drogenabhängig und unheilbar krank, er fleht ihn an, ihn zu töten. Die Szene zeigt zweierlei, Rahul ist zu Mitleid fähig und aus diesem Mitleid wird er zum Mörder, benutzt aber gleichzeitig dessen Tod, um Sunil in Sicherheit zu wiegen.

Darr gehört in die Reihe der zweite Wahl Filme für Shah Rukh. Denn ursprünglich sollte Aamir Khan die Rolle des Sunil spielen. Doch dieser verlangte nach Änderungen im Drehbuch und stieg aus, als er die nicht bekam. Für Shah Rukh wurde er ein weiterer Trittstein auf seinem Weg zum Megastar. Er hat zwar nur zwei Songs in dem Film, aber die haben es in sich. Jaadu Teri Nazar, der in dem Film auch als personenbezogenes Mittel dient, um die Spannung zu übermitteln und aufrechtzuerhalten, und Tu Mere Samne, eigentlich der ultimative romantische Song in den Schweizer Bergen, nur sollte man vielleicht die Sonnenbrille aufsetzen, da bei der Kostümwahl sonst Augenkrebs droht. Der Holisong ist am Anfang typisch heiter, wird aber mit dem Auftauchen von Rahul beklemmend, Shah Rukh mit Trommeln hat sowieso was. Erwähnen sollte man noch den dramaturgisch geschickten Einsatz der Mundharmonika, die mit dem Thema aus Jaadu Teri Nazar spannungsfördernd Gänsehaut verbreitet, sobald man sie nur hört. Die anderen Songs gehören Juhi und Sunny und sind zwar nett, aber keine Ohrwürmer. Wir möchten sie auch gar nicht mögen…

Shah Rukh ist einfach die Idealbesetzung des unheimlichen und dennoch attraktiven Stalkers. In dem Film lieferte er die wohl beste Leistung in seiner frühen Karriere ab. Seine Augen, seine Körpersprache, ja selbst die Nebengeräusche, die er so von sich gibt, sind einfach nur faszinierend. Bei Shah Rukh ist es einfach ein Teil seiner Schauspielkunst, das man ihn auch atmen, schniefen oder stöhnen hört. Seine besten Szenen sind sicher die Konfrontationsszenen mit Sunil, wie die vor dem Haus in der Schweiz oder die im Wald, als er sich erst schlagen lässt und dann auf ziemlich hinterhältige Weise dem Helden das Messer in den Bauch rammt, um sich kurz darauf zu entschuldigen. Er müsse das schließlich tun, um Kiran vor ihm zu retten, da sie ja in Wirklichkeit ihn, Rahul, liebe. Echt irre, aber faszinierend gruselig. Sein irres stakkatohaftes Lachen oder das gestotterte Kkkkiran sind verdienterweise in die Geschichte des Hindifilms eingegangen. Er stottert allerdings nur bei dem Namen des Mädchen, auf den seine Obsession gerichtet ist. Als er in der letzten Szene begreift, das Kiran ihn nicht liebt, nie geliebt hat, erlischt die Obsession und er sagt ihren Namen, ohne zu stottern.

Sicher kein Wohlfühlfilm oder einer, den man sich so nebenbei mal reinzieht, aber unheimlich eindrucksvoll. Nach diesem Film wünscht man sich, nachdem frau den Alptraum der letzten Nacht verdaut hat, die heutigen Produzenten und Regisseure würden sich mehr trauen, Shah Rukh in negativen Rollen zu besetzen. Er ist einfach beängstigend gut darin.