Deewana. Sicher ein Film, der bald vergessen worden wäre, wenn da nicht der Umstand gewesen wäre, dass er 1992 als Sprungbrett für den kommenden Superstar der Nation diente. Und das buchstäblich.
Die Story ist schnell erzählt und wird auch erst in der zweiten Hälfte wirklich interessant und erst in den letzten Minuten richtig spannend. Ravi (Rishi Kapoor) und seine Mutter (Sushma Seth) besitzen ein erfolgreiches Familienunternehmen, er tingelt trotzdem gern als Sänger durchs Land und gibt den Rockstar. Dann gibt es noch den bösen Onkel Pratap (Amrish Puri) nebst dessen entarteten Sohn, der es natürlich auf das Familienunternehmen abgesehen hat und bereit ist, dafür über Leichen zu gehen. Wie originell.
Auf einer seiner Touren trifft Ravi auf die blutjunge Kajal (Divya Bharati), die auf mädchenhafte Art für ihn schwärmt. In idyllischer Umgebung inklusive Songs verliebt sich Ravi in sie und sie heiraten. Damit kommt er den Plänen seines Onkels in die Quere. Dessen Sohn versucht sich an Kajal zu vergehen und wird dafür von Ravi getötet, im Gegenzug bringt Pratap Ravi um. Kajal und ihre Schwiegermutter können entkommen und fliehen nach Mumbai. In ihrer Trauer und aufgrund ihres Status als Witwe will sie nichts mehr mit der Welt zu tun haben, doch diese bricht in Gestalt des jungen Raja (Shah Rukh Khan), Sohn eines reichen Geschäftsmannes (Dalip Tahil), wieder in ihr Leben ein. Als dieser sich Hals über Kopf in die schöne junge Witwe verliebt, bricht er mit allen konventionellen Regeln, auch mit seinem Vater, und heiratet die widerstrebende Kajal mit dem Segen ihrer Schwiegermutter. Mit hartnäckiger Geduld schafft es Raja, ihre Liebe schließlich doch noch zu erringen, als die Vergangenheit wieder lebendig wird und alte Rechnungen beglichen werden müssen…
Keine wirklich originelle Story, die Musik ist bis auf ein zwei Ausnahmen auch nicht der Ohrwurm, die Qualität von Bild und Ton entspricht den frühen Neunzigern. Dazu ein vierzigjähriger Rishi Kapoor in grauenhaften Pullovern. Autsch. Der Kostümdesigner muss auf einem psychedelischen Trip gewesen sein. Ich geb zu, ich hab bei Rishi mit diesem Film wohl auf dem falschen Fuß angefangen, ich hätte mir erst ein paar seiner früheren Filme anschauen sollen, aber so konnte ich ihn einfach in keinem Film mehr ernst nehmen. Nicht mal in Karz. Rishi ist sicher nett und knuffig, aber er ist einfach kein Heldenmaterial. In diesem Film dürfte er auch knapp einer Anzeige wegen Verführung Minderjähriger entgangen sein. Das Mädel sieht aus wie gerade aus der Wiege geschlüpft. Das konnte nicht gut gehen. Bei Shah Rukh hat das jetzt zweimal geklappt, da die Story passte, aber er sollte sich immer Rishi als warnendes Beispiel vor Augen halten und sein Glück nicht herausfordern, indem er das noch mal versucht. Zurück zu Rishi, er ist in den richtigen Rollen sicher auch ein guter Schauspieler, aber ihn hier als leading man zu besetzen, der eine Achtzehnjährige singend um die Bäume jagt, kann man im nachhinein eigentlich nur als absolut hirnrissig oder genial bezeichnen, lieferte er doch so unfreiwillig das totale Kontrastprogramm zum zweiten Helden des Films, Shah Rukh Khan.
Shah Rukh kam nach seinem durchschlagenden Erfolg im Fernsehen nach Mumbai, um sich beim Film zu versuchen und unterschrieb auf Anhieb für mehrere Filme. Obwohl er zuerst für Dil Aashna Hai drehte, kam Deewana vorher ins Kino. Was sein Glück sein sollte, den mit DAH wäre seine Karriere wohl gar nicht erst gestartet. Deewana war zwar nur eine zweite Hauptrolle und Shah Rukh auch nicht die erste Wahl für die Rolle, doch er schaffte damit ein „sensationelles Debut“ und heimste auch gleich mal seinen ersten Filmfare Award ein, was zu einer angenehmen Gewohnheit werden sollte. Für einen eigentlich unbekannten Schauspieler ohne Familie im Hintergrund war der Film schon ein Glücksfall. Auch wenn Shah Rukh den Film nicht mag, er kann schon stolz drauf sein. Der Film schaffte es im relativ schwachen Jahr 1992 zum Hit und war der zweiterfolgreichste Film des Jahres. Sehr bezeichnend.

Und die Titulierung Sensationell war keineswegs übertrieben. Nach einer schwachen ersten Hälfte, in der man ungläubig die seichte Handlung verfolgt, in der nur Amrish so richtig auf seine bösen Kosten kommt, und kostümtechnischen Augenkrebs riskiert, platzt Shah Rukh singend auf einem Motorrad (!) buchstäblich ins Bild und reißt den Zuschauer mit seiner schieren Lebensfreude aus seiner dösigen Lethargie. Ich kann mir richtig vorstellen, wie ein halb schlafendes Publikum im Kino urplötzlich wieder zum Leben erwachte und von Shah Rukhs Koi Na Koi mitgerissen wurde. Besser hätte er sich nicht etablieren können. Es konnte nur in eine Richtung gehen, aufwärts.
Zurück zum Film. Also bisher alles ziemlich langweilig. Doch zur Belohnung fürs Durchhalten kommt ja dann Shah Rukh. Er reißt die Handlung an sich und bringt Leben rein. Damals war er einfach nicht fähig oder willens, einen Gang runterzuschalten in seiner Darstellung. Kraftvoll und energiegeladen geht er in der Rolle auf, als sei sie ihm auf den Leib geschrieben. Wie einer seiner Freunde mal sagte, er kam uns auf der Leinwand nicht gespielt vor, so war er einfach, als sei er mal eben aufs Motorrad gestiegen und sei dabei gefilmt worden. Er hatte damals gar nicht ernsthaft vor, Hindifilmheld zu werden, er probierte einfach vieles aus und wollte nicht partout das Publikum beeindrucken. Diese Ehrlichkeit zeigt sich auf der Leinwand. Es ist alles da, was in seinen nächsten Filmen kommen sollte. Der obsessive Stalker, der liebende Sohn, der loyale Freund, der gnadenlose Rächer. Emotional immer eine Stufe weitergehend als normal (hier durfte er das erste Mal mit einem Messerchen auf seiner Haut rumschnitzen), intensiv in seinem Schmerz wie auch in seinem Glück. Niemals gedämpft, niemals Mittelmaß. Rishi hätte ahnen sollen, was da auf ihn zukam.
Jetzt kann man sich endlich in den Film hineinversetzen und mit den Figuren mitleiden. Rajas Rebellion gegen die Gesellschaft mag uns nicht so gewichtig vorkommen, doch wenn man Kajals Status als junge Witwe bedenkt, gleich doppelt unglückselig, und Rajas Status als Sohn und Erben eines reichen Geschäftsmannes, begreift man die Radikalität dieses Schrittes. Und die Eiligkeit, mit der ihre Schwiegermutter ruft, Mach sie zu deiner Frau, ehe die Gesellschaft dich daran hindert. Er nimmt die vogelfreie Witwe unter seinen Schutz und verleiht ihr damit wieder eine menschenwürdige Stellung. Mutterlos aufgewachsen, reichlich verwöhnt und ohne bisher eine Aufgabe im Leben gefunden zu haben, lebte Raja in den Tag hinein. Als er sich verliebt, übernimmt er Verantwortung, steht allen Widerständen zum Trotz zu seiner Liebe und findet endlich eine Mutterfigur, die er bislang vermisste.
Shah Rukh mag in diesem Film noch nicht der beste Schauspieler gewesen sein, und sein Tanzen sieht auch etwas holprig aus, doch seine intensive Ausstrahlung und Lebendigkeit machen das mehr als wett. Wenn er stammelnd seinen Freunden seine Seelenqual mitteilt, sich selbst verletzt in seiner Not, will man ihn einfach nur in den Arm nehmen. Und das er so heiß ist, das er selbst Eis zum Schmelzen bringt, das wussten wir schon, hier in dem Film darf er sogar auf einem Eisblock durch die Strassen schlittern. Sehr passend.

Zu den anderen Schauspielern. Zu Rishi hab ich glaub ich genug gesagt, seine Rolle ist einfach fehlbesetzt, da zu alt, dazu noch unvorteilhaft in Szene gesetzt und einfach langweilig. Dabei bekommt er in der ersten Hälfte die Songs des Helden. Doch nachdem man ihm siebzig Minuten lang beim um die Bäume jagen eines kaum geschlüpften Kükens zugesehen hat, reicht es. Lasst uns gnädigerweise den Mantel des Vergessens darüber decken. Von den anderen bleibt eigentlich nur Amrish Puri in Erinnerung, er darf mal wieder so richtig fies stieren und Ränke schmieden. Divya kommt ganz niedlich rüber, aber viel mehr als gut auszusehen, hat sie in dem Film nicht zu tun. Außer in den paar Momenten, wo sie Raja gegenüber rumzicken darf. Man nimmt ihr in der ersten Hälfte einfach nicht dieses Geschwärme für einen Mann ab, der ihr Vater sein könnte.
Trivia: Divya Bharati, die hier die Kajal spielte und vorher mit Shah Rukh in Dil Aashna Hai flirten durfte, ist ein Jahr später bei einem Sturz aus dem sechsten Stock gestorben. Offiziell soll es ein Unfall gewesen sein, doch es gab auch Spekulationen in Richtung Mord.
So ganz ohne Prügelei ging es damals nicht. Es hält sich allerdings in verträglichen Grenzen. Auch hier nimmt man Rishi die Actionszenen nicht ganz ab, aber er schlägt sich wacker. Shah Rukh darf ganz nach den Gesetzen Bollywoods eine ganze Horde Schläger im Alleingang verprügeln, wird aber andererseits in der Climax durch einen einzigen Schlag außer Gefecht gesetzt. Naja, Drehbuch eben. Bei der Wasser/Strom Szene darf frau auch wieder mitleiden. Und Amrish macht den Fehler, den alle bösen Jungs in allen Filmen machen, er redet zuviel, anstatt einfach abzudrücken. Und büßt für diesen Fehler. Denn Bollywood ist sattsam bekannt für seine wundersamen Wiederauferstehungen vermeintlich Toter. Mehr will ich hier nicht verraten, falls jemand den Film noch nicht kennt.
Auf die Kostüme bin ich schon kurz eingegangen. Hier gibt es ein paar wirklich grausame Schnitzer, nicht nur bei Rishi. Auch Divya kommt nicht ungeschoren davon, das tut manchmal wirklich den Augen weh. Shah Rukhs Klamotten sind ganz okay, bis auf das blaue Teil in einem Song, er ist noch glimpflich davon gekommen. Dem Kostümdesigner gehört das Handwerk gelegt.
Der Film ist sicher nur Mittelmass und das auch nur mit Hilfe von Shah Rukh. Die erste Hälfte schaut man sich vielleicht einmal an, um den Inhalt zu kennen und die zweite Hälfte zu verstehen, aber dann nie wieder. Für mich ein Film, den ich einlege, wenn ich keine drei Stunden Zeit habe. Viel Geflirte der beiden Hauptdarsteller, aber kaum wirkliche Handlung, allerdings ein spannendes Finale. Deewana ist sicher kein Klassiker, aber solides Futter für anspruchslose Unterhaltung und sowieso ein Muss für alle Fans.