Kal Ho Naa Ho (2003, Wer weiß, ob es ein Morgen gibt), produziert von Karan Johar, entstand unter der Regie von Nikhil Advani und wurde zu Recht der Film des Jahres 2003.
Naina Kapur (Preity Zinta) erzählt rückblickend die Geschichte ihrer ersten und zweiten Liebe. Sie lebt mit ihrem kleinen Bruder Shiv, der adoptierten Gia, ihrer Mutter Jennifer (Jaya Bachchan) und Großmutter Lajjo (Sushma Seth) in New York. Ihr Vater hat sich wegen eines Seitensprunges, dessen Resultat Gia ist, das Leben genommen und damit die Familie finanziell und emotional zerrüttet. Die großherzige Jennifer hatte das kleine Mädchen aufgenommen und führt mit ihrer Freundin und Nachbarin ihr kleines Lokal, das kurz vor der Pleite steht, während sie zu Hause ständig mit ihrer Schwiegermutter aneinander gerät, die ihr den Tod des Sohnes zum Vorwurf macht, da sie den wahren Grund seines Freitodes nicht kennt. Naina steht zwischen den Fronten, obwohl sie ihren eigenen Kummer noch nicht verarbeitet hat. Einzige Lichtblicke in ihrem freudlosen Leben sind ihre unbekümmerte Freundin Sweetu und ihr Freund Rohit (Saif Ali Khan) aus wohlhabender Familie, mit dem sie einen Abendkurs belegt. Über all den Sorgen scheint sie vergessen haben zu leben und wie man lächelt.

Wie ein rettender Engel platzt in diese verfahrene Situation übernacht zusammen mit dem Sommer Aman (Shah Rukh Khan), der mit seiner überbordenden Lebenslust erst mal die ganze Nachbarschaft aufmischt und ein Auge auf die widerspenstige Naina wirft. Ehe sich alle versehen, fegt er wie ein Derwisch in ihren grauen Alltag, mischt aller Leben gründlich auf, knüpft Bande zwischen Herzen, die seiner Meinung nach zusammen gehören, steht auch mal in der Küche, um Jennifer zu helfen oder verbringt Zeit mit den Kindern. Kurzum, er bringt buchstäblich die Sonne zurück in die Familie und ermuntert Jennifer, das Lokal unter Einbringung des indischen Touchs auf Vordermann zu bringen, um es finanziell zu retten. So ist es kein Wunder, das sich Naina, die gerade wieder das Leben entdeckt, in den charismatischen Aman verliebt. Doch dieser ist nicht ohne Grund in New York, er erzählt Naina, er wäre verheiratet und nach einem Streit mit seiner Frau ihr in die Staaten gefolgt, um sie zurückzugewinnen. Am Boden zerstört, glaubt sie nie wieder lieben zu können. Doch Aman, der Rohits Liebe zu Naina erkannt hat, tut nun alles, um die beiden zusammenzubringen. Und wenn es das letzte ist, was er auf Erden tut…

Spoiler
Kal Ho Naa Ho war eigentlich der erste Film, bei dem ich durch Zufall reingeschaut habe. Nun hatte ich aber leider gerade die tränenreiche Stelle unter der Brücke erwischt und meinte nur, weinende Männer, neee… und hab umgeschaltet. Wie konnte ich nur? So umfassend hat sich inzwischen meine Gefühlswelt verändert, dass ich heute nur noch den Kopf darüber schütteln kann. Vor allem, wenn dieser Mann weint…
Der Film startet als überraschend frischer und moderner Film, der sich lebensfroh, humor- und gefühlvoll um die alltäglichen Probleme einer NRI Familie in New York dreht und ab der Intermission zur aberwitzigen Gefühlsachterbahn wird, was den Zuschauer bis an die Schmerzgrenze bringt.

Denn Aman ist nicht verheiratet, er birgt ein viel schmerzvolleres Geheimnis, aus dem er Nainas Liebe abblocken und umlenken muss. Denn sein großes Herz, obwohl voller Liebe für alle Menschen und insbesondere Naina, ist zu schwach zum Leben, Aman ist todkrank. Trotzdem verbringt er seine letzten Tage damit, Jennifer und ihre Schwiegermutter zu versöhnen, Sweetu und ihren Liebsten zusammen zu bringen, und dann natürlich Naina und Rohit ihre Liebe zueinander entdecken zu lassen. Er weiß, sie verkraftet nach dem Tod des Vaters den seinen nicht ohne die Hilfe eines liebenden Menschen. Sie mag Rohit ja schon, ihre Liebe zu ihm braucht nur Zeit zum wachsen. Rohit weiß um Nainas Liebe zu Aman und erkennt auch dessen Liebe zu ihr, und doch ist er bereit, damit zu leben und Naina in einer Ehe mit ihm glücklich zu machen, ohne ihr dies vorzuwerfen. Dazu gehört schon Größe, um mit dem Wissen, immer der Zweite zu sein, zu leben. Doch seine Geduld wird belohnt, wie sich am Ende zeigt, denn auch Naina liebt ihn. Es ist eine andere Liebe als die zu Aman, der ihre erste große Liebe war, doch eine erprobte und beständige Liebe, die ihrer beider Leben lang halten wird.

Zum Glück gleitet der Film nach der niederschmetternden Eröffnung kurz vor der Intermission nicht allzu ins Melodramatische ab, im Gegenteil. Aman schmiedet aus tiefer Liebe zu Naina mit Rohit den umtriebigen Plan, ihr Herz zu gewinnen, der Raum für so manche Situationskomik bietet und so dem Film wieder Auftrieb verleiht. Erst zum Ende übernimmt wieder der Schmerz über das Unvermeidliche. Aman bricht bei der Verlobungsfeier unbemerkt zusammen und Naina erfährt die Wahrheit. Sie erkennt, was Aman aus Liebe zu ihr tut und akzeptiert seinen letzten Wunsch aus Liebe zu ihm. Wie er unterdrückt sie ihre Tränen und steht den Abschied von ihm durch, bis auch sie zusammenbricht.

Doch selbst dieser ultimativen Sterbeszene drückte Shah Rukh noch mal seinen Stempel auf. Sein Einzeiler „Not yet, Idiot!“ ist wohl der berühmteste der indischen Filmgeschichte und lässt den Zuschauer unter Tränen noch mal auflachen. Ich finde es dramaturgisch großartig, uns mit diesem Bild vor Augen aus dem Film zu entlassen und die eigentliche Sterbeszene in der Intimität zwischen Mutter und Sohn zu belassen. Es ist so schon schwer verdaulich genug.

Nikhil Advani mag zwar bei diesem Film Regie geführt haben, doch trägt er eindeutig Karan Johars Stempel. Er hat hier wieder mal nicht am Starcast gegeizt. Saif Ali Khan, Preity Zinta und Shah Rukh als Hauptprotagonisten glänzen durch ein großartiges Zusammenspiel in Komik und Dramatik und selbst die Nebenrollen sind durchweg gelungen besetzt. Karan schuf ein melodramatisches Epos, das er allerdings komplett nach New York verlegte. Nicht mal in den Songsequenzen sieht man Alpen oder Indien. Und doch ist der ästhetisch toll inszenierte Film bis auf den amerikalastigen ersten Song Pretty Woman absolut indisch. Dazu kommen eine virtuose Kameraführung von Anil Mehta, überwältigende Farben, stimmige Songs und ein gelungener Schnitt, der dem Film bei seiner Dauer von über drei Stunden kaum Längen beschert.

Die Hauptprotagonisten der Handlung sind hier drei Figuren Naina, Rohit und Aman, die sich in einer klassischen Dreiecksbeziehung befinden, die allerdings ungewöhnlich gelöst wird. Shah Rukh, der als rettender Engel in die Geschichte eintritt, zieht sicherlich allein aufgrund seines Charismas die Szenen an sich, doch überschattet er nicht seine Mitspieler. Er agiert nicht allein, sondern mit ihnen und lässt sie gut aussehen. Und das Schöne ist, er darf in diesem Film sein ganzes Repertoire ausspielen, Situationskomik wechselt sich ab mit ernsten Szenen, leise mit dramatischen bis hin zu tragischen, ohne ins lächerliche abzurutschen.

Passend zu seiner Rolle eines schwerkranken Mannes schaut er manchmal wirklich krank aus, was sicher an seiner Rückenoperation lag. Dass Aman trotz Herzprobleme frisch nach einem Zusammenbruch durch halb New York läuft, haken wir unter künstlerischer Freiheit ab, da es dem Fanherz einen rennenden und schwitzenden Shah Rukh beschert. Dann gibt es wieder Szenen, in denen er so jung wie nie aussieht. Er hat eine wunderbar stylische Einführung in den Film, darf in der ersten Hälfte so richtig jungenhaft spielen, während es in der zweiten Hälfte hin und wieder zu melodramatisch und selbstmitleidig wird. Die tränenreiche Szene nach der Hochzeit ist mir persönlich zu viel, doch die Szene unter der Brücke und die bei den Hochzeitsvorbereitungen gehören inzwischen zu meinen Liebsten. Wer ihn nach diesem Film immer noch nicht mag, wird ihn nie lieben. Wer ihn vorher schon mochte, wird ihm danach rettungslos verfallen sein.

Shah Rukh mag die emotionalen Szenen des Films beherrschen, doch die romantischen haben diesmal seine Mitspieler Preity Zinta und Saif Ali Khan. Preity hat die wohl stärkste Rolle des Films und ist wirklich gut darin. Dies ist nach Dil Se erst ihre zweite Zusammenarbeit mit Shah Rukh, da sie wohl damals etwas über ihn sagte, was er ihr übel nahm. Doch Kareena Kapoor, die zuerst für die Rolle vorgesehen war, verlangte eine zu hohe Gage und so ging die Rolle an Preity, die eine rundum gelungene Leistung in allen Gefühlslagen zeigt. Saif als großherziger Möchtegernfrauenheld, der nicht so cool ist, wie er gern sein möchte, beweist seinen Sex Appeal in den Szenen mit Preity, brilliert aber vor allem in den komischen Szenen mit Shah Rukh, die beiden reichen als Comic Relief, sie lockern eine ansonsten emotional zu erdrückende Handlung mehr als hinreichend auf. Ihre homoerotischen Pointen sind inzwischen legendär und of kopiert. Ihre Chemie ist der eigentliche Überraschungserfolg des Films und macht zum größten Teil seinen Charme aus. Dabei ist Saifs Ego bescheiden genug, um Shah Rukh den Scheinwerfer zu gönnen, ohne selbst dabei zu verlieren.

Shah Rukh hat zwar nicht die romantischen Szenen mit Preity, doch durchzieht Amans Liebe zu Naina die ganze Handlung. Was Aman auch für Rohit tut, es geschieht nur aus einem Grund. Naina nach seinem Tod nicht allein zu sehen, sondern an der Seite eines Mannes, der sie liebt. Dafür spielt er auch schon mal Gott, oder besser Engel, auch wenn das Naina nicht passt. Erst als sie erfährt, was mit ihm los ist, begreift sie im vollen Umfang, was und warum er für sie getan hat. Seine Darbringung von Rohits Gedanken aus seinem Tagebuch ist in Wahrheit seine Liebeserklärung an sie und der Frust über seine Hilflosigkeit scheint hier durch alle Großherzigkeit hindurch. Doch Amans Selbstlosigkeit überwiegt, anstatt ihre Liebe auszunutzen, um sich ein paar schöne letzte Wochen in seinem Leben zu machen, nutzt er die Zeit lieber, um ihre Liebe zu Rohit zu wecken.

Ein respektloser Gedanke von mir, aber ich hätte ihm doch gerne wenigstens eine Nacht mit Naina gegönnt. Und bis zum Schluss hatte ich die Hoffnung, es findet sich noch ein Spender und Aman wird gerettet. Dafür hätte ich doch glatt Rohit abgemurkst, sorry Saif, als Organspender… (ich bin böse, ich weiß)
Wie gesagt sind auch die Nebendarsteller gelungen besetzt. Jaya Bachchan als Nainas Mutter sowieso, sie ist einfach eine tolle Schauspielerin und hat seit Kabhi Khushi Kabhie Gham auch einiges an Gewicht verloren. Sonali Bendre spielt Amans Ärztin und hat ein paar schöne Szenen mit ihm. Sushma Seth als böse Schwiegermutter überzeugt, Reema Lagoo spielt Amans Mutter, Ketki Dave die von Saif. Der Film ist voller starker Frauen, aber das muss er auch, denn seinen Helden haben alle ein Handicap. Shiv, Nainas Bruder hat eine körperliche Behinderung, ihr Vater war schwach und hat sich umgebracht, Rohit braucht Hilfe, um sich seiner Gefühle klar zu werden und die Frau seiner Träume zu gewinnen und Shah Rukh hat wohl das Ultimativste, er ist todkrank. Die Frauen tragen die Handlung, die Frauen treffen die Entscheidungen und schultern letztendlich die Konsequenzen.

Es gibt noch ein paar ganz kurze Gastauftritte von Sanjay Kapoor als Sonalis Ehemann, Uday Chopra ist kurz als Tag Sechs zu sehen und auch Karans Talismane Kajol und Rani Mukherjee sind kurz in Mahi Ve zu sehen.
Der Soundtrack von Shankar-Ehsaan-Loy ist fast durchweg gelungen, die Hintergrundmusik passt zur Handlung und trägt die Emotionen. Hier hat Karan sogar mal ein altes Muster Bollywoods durchbrochen und für die Rechte an Pretty Woman bezahlt. Der Song ist ein wunderbar rockiger Einstiegssong mit amerikanischen Tänzern, der New York gelungen in Szene setzt. Ein großes Dankeschön an die Stadt und Shah Rukh in denkwürdigen Kostümen.

It’s Time to Disco ist nicht so mein Lieblingslied, doch die drei Darsteller haben ein paar gute Einstellungen und die Witzigen machen die Schwächen des Liedes wieder wett. Wichtig ist allerdings die Szene danach, als Aman auf dem Weg nach Hause Nainas Hand loslässt, als er Rohits Liebe zu ihr erkennt und in den Hintergrund tritt.

Kuch To Hua Hai ist eine leichte Ballade, in der Rohit und Naina ihre keimende Liebe besingen, allerdings nicht unbedingt gegenseitig. Richtig revolutionär fürs Hindikino hier der Kuss zwischen zwei Männern…
Kal Ho Naa Ho ist der Titelsong und auch der beste des Soundtracks, auch aufgrund seiner genialen Verfilmung mit einem Shah Rukh, der selten besser rüberkam. Wenn er die Arme öffnet, will er die ganze Welt umarmen. Der Song mit tollen Aufnahmen der Brooklyn Bridge betont noch einmal seine Rolle als „Engel“ in dem Film, wenn er sich gleichsam unsichtbar um Rohit und Naina herumbewegt, wunderbar und traurig zugleich. Diese Augen…

Die Sad-Version des Liedes ist womöglich noch trauriger und bringt zusammen mit diesen Bildern auch den abgebrühtesten Zuschauer nun endgültig in Kontakt mit Taschentüchern.
Der Song, der mir in Lagaan schon sehr gefallen hat, Chale Chalo, wird hier großartig und passend in Szene gesetzt, als sie das Cafe umdekorieren. Schöne Szenen mit (fast) allen Darstellern, inklusive bedeutungsvoller Blicke in die Kamera.

Der Ohrwurm Mahi Ve, oh Mann, ich kann den Song nicht sehen und hören, ohne eine dicken Kloß im Hals. Er ist der erste Song, den ich mir als MP3 runterlud, noch ehe ich den Film überhaupt kannte. Nein, stimmt nicht, mein Bruder hat ihn sogar für mich heruntergeladen und er hat nun gar nix damit am Hut. Er meinte nur, hier, der Song ist gut, ist der nicht aus einem deiner Filme?

Seine Verfilmung ist dank Karan und Anil Mehta einfach genial, überlebensgroß, farbenprächtig und bildgewaltig. Toll choreographiert und indische Kostüme als I-Tüpfelchen. Und endet doch mit der für mich schlimmsten Szene des Films. Und wieder diese Augen…
Hab ich schon mal erwähnt, dass niemand so schön sterbselt wie Shah Rukh? Er hat ja nun fast alle Arten durch, laut, leise, absurd, heroisch, doch das hier ist eine seiner Meisterleistungen. Wie auch der ganze Film.