Koyla (Kohle, 1997) ist der eine Film, in dem Shah Rukhs Augen und Körper die Kommunikation und damit die Hauptrolle übernehmen. Eigentlich eine bescheuerte Idee, einen Mann mit seiner Stimme einen Stummen spielen zu lassen, doch sie geht auf. Er braucht keinen Text, um doch alles zu sagen. Seine eindrucksvolle Mimik und voller Körpereinsatz sind völlig ausreichend. Und dafür, dass er stumm ist, redet er doch recht viel in dem Streifen.
Zur Handlung. Shah Rukh spielt hier den stummen Shankar, nach der Ermordung seiner Eltern, Diener und hündischer Sklave von Raja Saheb (Amrish Puri), Thakur, Kohleminenbesitzer und selbsternannter Gott über seine Arbeiter und Bediensteten. Rajas Bruder Brijwa (Salim Ghoshi) ist nicht nur genauso brutal und gemein wie Raja, er ist obendrein noch durchgeknallt. Beide Brüder zeigen sich der Welt als gutmeinende Großgrundbesitzer, misshandeln aber ihre Untergebenen, missbrauchen ihre Frauen und Töchter und töten auch schon mal, wenn sich jemand widersetzt.

Raja fühlt sich trotz der Schönheit seiner Sekretärin und Bettgespielin Bindiya (Kunika) nicht mehr als ganzer Mann und sucht nach einer neuen Frau. Die schöne Waise Gauri (Madhuri Dixit) läuft ihm über den Weg und er unternimmt alles, um sie zu bekommen, inklusive der Unterschiebung eines Fotos seines Dieners Shankar, da er selber nicht grad ansehnlich ist. Selbstredend verliebt sich Gauri sofort in das Bild und ehe sie es merkt, ist sie mit Raja verheiratet. So hintergangen will sie lieber sterben, als sich dem alten Mann hinzugeben, der sie daraufhin einsperrt. Shankar kann einen Selbstmordversuch verhindern, woraufhin sie seine wahre Rolle in dem Spiel erfährt. Als Gauris Bruder auftaucht und mit Shankars Hilfe die Wahrheit erfährt, will er sie aus der Hölle befreien, findet aber selber den Tod durch Rajas Hand. Sterbend vertraut er Shankar seine Schwester an und bittet ihn, sie zu retten. Eine atemlose Flucht vor Raja und seinen Schergen beginnt, auf der die beiden ihre Liebe zueinander entdecken…

Achtung Spoiler!!!

Rakesh Roshan hat mit diesem Film einen knallharten Rachestreifen geliefert, der zwar öfters mehr an die achtziger Jahre erinnert als an die Neunziger, aber ein Leckerbissen für alle Hardcorefans von Shah Rukh ist. Denn die höchst brutalen und bluttriefenden Szenen halten sich mit wunderbar einfühlsamen Szenen und sehr schön inszenierten Songs die Waage.

Realistisch ist allerdings was anderes. In schönster Hindifilmheldenmanier wird hier zugeschlagen und zugestochen, doch nur die Schurken gehen zu Boden. Held und Heldin kommen in den Genuss der wundersamen Spontanheilung inklusive einer fachmännischen Operation im tiefsten Dschungel (die Heilung der Stummheit ist ähnlich abstrus wie die Augentransplantation in Guddu, was aber nicht weiter stört. Man darf allerdings wirklich nicht zartbesaitet sein, denn zu sehen, wie Shankar die Kehle aufgeschlitzt wird, ist nicht so einfach zu verkraften, genau wie die Szene, als sie wieder zugenäht wird.), um sofort weiter zu laufen, zu kämpfen und zu rächen. Wow. Aber wer will schon Realistik in einem Hindifilm. Wir wollen doch mitleiden, denn seien wir ehrlich, die Prügel-, Schlitz- und glühende Kohlen Szenen tun beim Zusehen weh, Frau leidet mit jedem Schlag mit, den der unterdrückte Shankar einstecken muss.
Bis er endlich aufbegehrt, denn jeder geprügelte Hund beißt irgendwann zurück. Doch er braucht erst einen Grund, um sich gegen seinen Herrn zu wenden und endlich sein Schicksal selbst in die Hand und seine Geliebte an die Brust zu nehmen.
Shah Rukh spielt Shankar, der stumm ist, seit ihm von den Mördern seiner Eltern glühende Kohlen in den Mund gestopft wurden, wie einen rohen ungeschliffenen Diamanten. Roh mit Mut zur Hässlichkeit (und sieht damit sexier aus als jeder gelackte Schönling), kraftvoll, intensiv und höchst emotional, mit vielen versteckten Facetten, die nach und nach zum Vorschein kommen. Der ganze Film ist ungeheuer lebendig und kraftvoll, pathetisch, vibriert vor unterdrückter Spannung und roher Gewalt. Jedes Mal erlebe ich dieselbe Mischung aus Mitfiebern, Mitleiden und Mitkämpfen, das ich hinterher ganz ausgelaugt bin. Dieser Film hat einfach alles. Roshan versteht es hier, verschiedene Szenarien aus Hollywoodfilmen so geschickt zusammenzustricken, das man nur bewundernd Beifall klatschen kann, und genießen.

Rachefilme sind ja irgendwie alle gleich, der Auslöser ist Gewalt und sie steuern gewalttätig auf ein blutiges, aber unvermeidliches Ende zu. Trotzdem wird dieser Film nie langweilig, denn hier sind die Rache und ihre Motive und Ursprünge glaubhaft und Shankars Kreuzzug erreicht epische Ausmaße. Es macht einfach Spaß, Shah Rukh und Amrish zuzusehen. Sie schenken sich nichts in Bezug auf Brutalität, allerdings aus gegenpoligen Gründen und damit unterschiedlich zu wichten.
Shah Rukh ist sowieso die Idealbesetzung dieser Rolle, er darf bluten, schwitzen, rennen und vor allem seinen ausdrucksstarken Augen benutzen. Und als er wieder reden kann, hat seine Stimme die erotische Qualität eines Reibeisens, sie geht unter die Haut. Zur Frisur, ich mag eigentlich keine Vokuhilas, aber hier passt es und mit einem Tuch um die Stirn, einfach perfekt.
Die Frauenfiguren sind hier einerseits angebetete Göttinnen und Antrieb der Handlung, können aber andererseits auch schnell vom Sockel gestoßen werden, wenn sie nicht tun, was man von ihnen erwartet. Sie werden nicht weniger brutal behandelt wie die Männer und auch genauso umgebracht. Madhuri ist für mich sowieso die Idealbesetzung neben Shah Rukh, sie harmonieren wunderbar miteinander und haben eine Chemie und Ausstrahlung, die der mit Kajol in nichts zurück steht. Und Madhuri hat nicht nur die Statistenrolle der geschundenen Heldin, sie darf auch aktiv werden und den Helden unterstützen. Ihre kleinen Gesten untereinander sind erotisch und verheißungsvoll, aber doch voller Respekt voreinander. So weigert sie sich, ihn als Fußstütze zu benutzen, sondern berührt seine Füße, unter dem Vorwand, eine Blüte aufzuheben.

Johny Lever, nun ja, er geht, die Figur seines Vaters ist noch schlimmer und das will was heißen…
Zur Musik. Auch wenn sie wie einige Szenen geklaut sein mag, sie passt wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge. Vangelis und ein in hellen Flammen stehender Shah Rukh (der sich dabei böse den Rücken verbrannt hat, aber er muss ja wieder mal mit dem Feuer spielen), der als Rächer der Enterbten hinter Amrish herjagt, um in einem beeindruckenden Showdown vor der Kulisse einer explodierenden Lokomotive sein Werk vollendet und eine weißgekleidete Heldin, die dem blutenden, dreckigen, verschwitzten Helden (nicht nur Bruce Willis sieht im verdreckten Feinripp sexy aus…) an die harte Brust sinkt. Herz, was willst du mehr.
Doch der Film hat natürlich auch eigene Songs. Und Madhuri darf tanzen, angefangen in Bhang Ke Nashe, als sie mit den Dorfkids im Drogenrausch herumhüpft. Niedlich.
Der gängige Held-Heldinnensong darf natürlich nicht fehlen, Dekha Tujhe To als Traumsequenz mit Shah Rukh in sexy Lederklamotten und Madhuri, tanzend vor toller Bergkulisse. Traumhaft.

Ghunghte Mein Chanda ist sicher ein wunderbares Lied, doch kann ich es nie ansehen, ohne daran zu denken, das sich Shahrukh hier das Knie verletzt hat. Autsch.
Am besten zeigt Madhuri ihr Können in Sanson Ki Mala, und ein verschwitzter halbnackter Shah Rukh trommelt, keine weiteren Fragen…

In Tanhai Tanhai dürfen Shankar und Gauri vor dem Auftakt der Gewaltorgie noch einmal Luft schöpfen und sich necken. Text ist nicht wichtig, Shah Rukh kann die Zeichensprache.
Badan Juda Hote ist ein eindringliches Lied, bei dem die Stimme aber nicht so richtig passen will und das mit einer Wahnsinnsszene auf einem Berg endet. Ich sag nur Spontanheilung.
Wenn man nicht mehr von dem Film erwartet, als er verspricht, nämlich sympathische Helden, sexy Heldinnen, fiese Schurken und eine actiongeladene blutrünstige Handlung mit Happy End, ist man hiermit gut bedient. Wenn nicht, ist das eindeutig der falsche Film.

PS: es gibt unterschiedliche Schnittfassungen des Films. Ich habe nun endlich mit der Moserbaer die ungeschnittene und qualitativ Beste, bei der auch die Songs untertitelt sind. Es bleibt abzuwarten, welche Fassung REM rausbringen wird, denn die ungeschnittene dürfte eine 18er sein.

PPS: Hrithik hat auch in diesem Film seinem Vater assistiert: