Anjaam, ein Film, der wehtut, in jeder Hinsicht. Und der überflüssig ist, auch in jeder Hinsicht. Zwei Filme mit Shah Rukh als Antiheld hintereinander waren genug. Er spielte den eiskalten Rächer und den obsessiven Liebhaber. Gut. Hier spielt er einen verwöhnten, reichen Jungen, der Begierde mit Liebe verwechselt. Schlecht. Damit will ich nicht sagen, dass Shah Rukh schlecht spielt. Oh nein, der Mann ist genial. Genial böse, fies und so was von durchgeknallt. Wohl der einzige Film, in dem ich ihn hasse. Und so ist der Film zwar schauspielerisch beeindruckend, aber dennoch zuviel des Guten und so brutal, das ich es bisher nur zweimal, nein jetzt dreimal, geschafft habe, ihn mir anzuschauen und ich bin sicher nicht zartbesaitet. Zwar nahe am Wasser gebaut, aber blutige und verschwitzte Helden mag ich schon ganz gerne. Aber ich habe etwas gegen Gewalt gegenüber Kindern, und ganz besonders Ungeborene. Da reagiere ich allergisch. Nach diesem Film war mir erstmal schlecht.

Doch erstmal zur Geschichte. Anjaam erzählt die Dreiecksgeschichte zwischen Vijay Agnihotri (Shah Rukh Khan), dem Alleinerben von Agnihotri Industries, der Stewardess Shivani (Madhuri Dixit) und ihrem Verlobten, dem Piloten Ashok Chopra (Deepak Tijori). Vijay ist als verhätscheltes Einzelkind reicher Eltern aufgewachsen und denkt so auch noch als Erwachsener, das er alles bekommt, was er denn will. Auch die Frau, auf die er ein Auge geworfen hat. Shivani ernährt mit ihrem Job auch noch die Familie der Schwester, da deren Mann lieber zockt als zu arbeiten. Ashok arbeitet wie gesagt als Pilot und gedenkt, Shivani demnächst zu heiraten.

Vijay sieht Shivani das erste Mal auf einer Party. Sie reagiert abweisend auf seine arroganten Annäherungsversuche und lässt ihn abblitzen. Als Vijay aus Wut sein Auto kaltblütig abfackelt, merkt man schon mal, dass er nicht ganz in der Spur läuft. Doch auch eine zweite Abfuhr entmutigt ihn nicht. Auf einem Flug, den sie als Stewardess betreut, verletzt sich Vijay aufgrund seiner Weigerung, Anweisungen zu folgen. Als sie ihn verarztet, verwechselt er dies mit Liebe und bildet sich nun ein, dass auch sie ihn liebt. Überglücklich erzählt er seiner Mutter davon, doch als sie zu ihrem Haus kommen, erscheinen sie gerade noch rechtzeitig, um sie heiraten zu sehen. Am Boden zerstört und liebeskrank versucht Vijay, sich das Leben zu nehmen und verlässt dann erst einmal das Land. Auch Shivani und Ashok ziehen für vier Jahre nach New York.

Achtung Spoiler!

Ist die erste Hälfte noch irgendwie normaler Bollywoodstoff, zerstört die zweite Hälfte diese Illusion jäh. Als Vijay zufällig Shivani wieder sieht, wird klar, dass er sie nie vergessen hat. Vijay, der alle Freude am Leben verloren hat (aber absolut sexy in Jagdklamotten aussieht), geht nun aufs Ganze. Er erschleicht er sich das Vertrauen von Ashok, heuert ihn sogar bei seiner neuen Fluglinie an, um Shivani, die inzwischen eine Tochter hat und ein zweites Kind erwartet, näher zu kommen. Doch Shivani hat instinktiv Angst vor ihm und versucht, auch ihren Mann zu  warnen. Als dieser genervt den Kopf verliert und Shivani eine Ohrfeige verpasst, rastet Vijay aus und prügelt ihn krankenhausreif. Nicht nur das, im Krankenhaus vollendet er kaltblütig sein Werk und kommt dank geschmierter Polizisten ungestraft damit durch. In seinem kranken Hirn will er sie ja nur beschützen und aus einer angeblich ungewollten Ehe befreien.

Nach und nach zerstört Vijay bei seinen Versuchen, Shivani rumzukriegen, ihr ganzes Leben. Er nimmt ihr alles, nicht nur eine liebevolle, intakte Ehe durch den Mord an ihrem Mann. Durch eine Falschaussage nimmt er ihr auch noch ihre Ehre als Ehefrau und ihre Rolle als Mutter, sie landet schließlich im Gefängnis, ihre Schwester und ihre Tochter werden, dies allerdings unbeabsichtigt, von Vijay überfahren und sterben (Vijay wird dabei auch schwer verletzt, wie sich später herausstellt), und ihr ungeborenes Kind wird von einer sadistischen Aufseherin aus ihr rausgeprügelt. Als sie, nachdem jeder, den sie liebte, tot ist, aus dem Gefängnis kommt, startet sie ihren blutigen Rachefeldzug. Und dabei ist sie wahrlich nicht zimperlich bei der Wahl ihrer Mittel.
Unterhaltsam ist was anderes. Nicht genug all der Schicksalsschläge, die allerdings nur zum Teil von Vijay verursacht werden und auf Shivani einprasseln, setzt ihre Rache dem ganzen die Krone auf. Anstatt zu befriedigen, verstärkt sie nur das bereits vorhandene Unwohlsein und man ist froh, wenn man es endlich hinter sich hat. Und stellt den Film erstmal ganz weit nach hinten im Regal.

Anjaam ist kein schlechter Film, das will ich nicht behaupten. Doch hier werden die Gewalt und das Leid dermaßen zelebriert und konstruiert, dass keine Freude an dem Streifen aufkommt. Einziger Pluspunkt sind die beiden Hauptdarsteller, Shah Rukh und Madhuri. Sie spielen eindringlich und überzeugend, wie eigentlich immer in ihren Filmen. Madhuri hat richtig was zu tun in dem Film, sie ist eine wirklich großartige Schauspielerin und Tänzerin, die mühelos mit Shah Rukh mithält und ihm durchaus Kontra bietet. Eine Wahnsinnsszene ist die, als Shah Rukh wiederholt Madhuri schlagen muss (wofür er sich wohl jedes Mal entschuldigt hat) und wieder mal mit scharfen Gegenständen an sich herumschnippelt. Einfach Gänsehautfeeling.
Und irgendwann will ich mal wissen, warum der Mann so gerne mit dem Feuer spielt, und das meine ich nicht unbedingt nur im übertragenen Sinne.
Allerdings fällt es einem irgendwann schwer, Madhuri noch mehr Leid ertragen zu sehen, man denkt nur, was kommt jetzt noch. Es ist alles zu dick aufgetragen, sowohl die Märtyrerin als auch Rächerin im Namen der Göttin Kali (so benutzt sie zum Schluss den Dreizack, um ihre letzte Rache zu vollziehen).
Johny Lever spielt hier mal wieder den Comic Relief und ist einfach nur zum Abgewöhnen. War sicher gut gemeint vom Regisseur, um die Spannung etwas zu mildern, passt aber einfach überhaupt nicht in die Handlung und ist einfach nur geschmacklos.

Die Lieder dienen hier als Verschnaufpause und sind mit Madhuri in der Hauptrolle immer ein Augenschmaus. Sie tanzt einfach göttlich. Allerdings wollen sie nicht so richtig in diesen Film passen. Shah Rukh hat eigentlich nur einen Song, Bade Mushkil Hai, in dem er flirten und auf einem fahrenden Taxi tanzen darf. Nicht ohne, die Szene, das würde heute keine Versicherung mehr genehmigen. Noch eine Stufe weiter und wir befinden uns auf dem Zug in Dil Se…
Noch erwähnenswert finde ich Barsoon Ke Baad, in dem eine sexy Madhuri vor dem geistig abwesenden Shah Rukh herumtanzt und ihn damit ins Leben zurückholt. Auch eine wirksame Heilmethode. Noch besser der Versuch, ihn zu ertränken. Schon die zweite Frau, die versucht, Shah Rukh das Schwimmen beizubringen und ihn dabei fast ersäuft.
Und Shah Rukh singt des Öfteren in dem Film! Und gar nicht mal so schlecht und es passt, wie ich finde, an bestimmten Stellen geht es richtig ans Herz.
Dieser Film von 1994 ist garantiert keine heile Welt Bollywoodschnulze, kann aber durchaus benutzt werden, um gängige Vorurteile auszuräumen. Dass es nicht immer ein Happy End geben kann, wussten wir ja schon, aber dieser hier hat es in sich. Denn am Ende lebt von allen Hauptprotagonisten nur noch eine einzige, Vijays Mutter. Sie ist auch die einzig Unschuldige, oder doch nicht? Ihr Fehler war es wohl, ihren Sohn zu sehr zu verwöhnen. Sie hat nie nein zu ihm gesagt, noch ihm beigebracht, dass jede Tat Konsequenzen (Anjaam) hat…
Hat man bei Shah Rukhs negativen Rollen in Baazigar und Darr noch fasziniert mitgefiebert und gelitten, ist man hier von seiner durch und durch fiesen Rolle abgestoßen. In Anjaam fällt es nicht schwer, ihn zu hassen. Er schafft es komplett, seinen Charme auszuschalten. Das ist auch eine schauspielerische Leistung. Erst zum Ende hin kommt ein wenig Mitleid auf und ich denke immer, wenn er sie zum Schluss in Ruhe gelassen hätte, einfach seines Weges gegangen wäre, wäre es zum gleichen Ende gekommen?

Bis zum Schluss beharrt er darauf, sie zu lieben, alles nur aus Liebe getan zu haben. Als sie ihn scheinbar endlich in ihr Herz lässt, hegt er kein Misstrauen. Doch in ihrer Umarmung erwartet ihn nur der Tod. Er sieht in seinem verdrehten Gehirn einfach nicht ein, das er sie nicht bekommen kann und empfindet keine Reue über das, was er getan hat. Er ist sogar total überrascht, als sie ihm das Messer in den Leib rammt. Als Sinnbild der Göttin Kali vollendet sie ihre Rache. Ihre letzten Worte sind bezeichnend ‚dein Tod ist mir wichtiger als mein Leben’.
Er wehrt sich nicht einmal, fragt nur, warum sie ihn erst gesund gepflegt hat. Alles, was er fühlt, ist Überraschung, Verwunderung und noch immer die Frage des verwöhnten, kleinen Jungen, dem man die Schokolade weggenommen hat: Sag mir nur einmal, das du mich liebst. So kommt der Tod auch hier als Erlösung von einer krankhaften Obsession und er hat es wieder mal geschafft, sogar in dieser schwarzen Seele, dieser hassenswerten Figur, seine verdammten Nuancen einzubringen, dass doch wieder Mitleid mit ihm aufkommt.

Mitleid? Nein, wir hassen ihn, er ist böse.
Aber schau doch nur, alles, was er will, ist Liebe.
Ha, das ist keine Liebe, das ist Begierde.
Sieh doch, wie er sie anfleht…
Nein, wir hassen ihn, bas. Er hat getötet und gelogen.
Aber diese traurigen, verständnislosen Augen…
Er ist so gefühlsverkümmert, das er nicht mal Schuld Reue verspürt.
Aber…
Nein, wir hassen ihn, mein Schatz (ups, sorry, falscher Film…)
Nur ein winzig kleines Tränchen?
…seufz, na gut… aber nur eines…

Eines für Shah Rukh und eines für Madhuri…