Erstmal möchte ich mich bei allen bedanken, die ich in Berlin kennen lernen durfte. Ich entschuldige mich bei denen, wo es nicht klappte oder für die ich vielleicht nicht genug Zeit hatte. Ich hoffe auf eine nächste Gelegenheit.
Schon vorher dachte ich mir, das die Einmaligkeit der Berlinale 2008 nicht wiederholbar ist und war so auch nicht enttäuscht, als es diesmal weniger Gelegenheiten gab, Shah Rukh nahe zu kommen. Er war diesmal auch in einer ganz anderen Situation und mit seinen Gedanken woanders. Das er sich trotzdem die Zeit genommen hat, die möglich war, muss man ihm hoch anrechnen. Auch gehöre ich nicht zu den Menschen, die ihm ins Hotel folgen oder dort belagern, um ein Foto oder Autogramm zu bekommen. Allein der Gedanke, in derselben Stadt, im selben Kino wie er zu sein, reicht mir völlig. Sein Lächeln zu sehen, als er an mir vorbeiging, hat mein Herz erwärmt. Mehr brauche ich nicht.

Nachdem wir es doch noch geschafft haben, Karten für die Premiere zu bekommen, waren wir glücklich. Als wir nach anstrengendem Nahkampf am Eingang des Berlinale Palastes und gefühlten tausend Treppenstufen endlich im ersten Rang auf unseren Plätzen saßen, konnten wir die Bilder vom Roten Teppich genießen und uns freuen, im Warmen zu sitzen. Als es dann hieß, Karan, Kajol und Shah Rukh seien im Kino, auch wenn wir sie von oben nicht sehen konnten, war unser Glück vollkommen. Auch wenn sie nicht den ganzen Film dagewesen sein sollten, das Feeling war einmalig. Das Publikum war bei der Vorstellung war zwar nicht ganz so lebhaft wie damals bei OSO im International, aber trotzdem sind wir mitgegangen, haben mitgefiebert, bei den lustigen wie auch bei den traurigen Szenen. Ton und Bildqualität war einmalig und der Film sowieso reinster Genuss. Nach dem Abspann, als wir kaum fähig waren, uns von unseren Sitzen zu erheben, kamen erst Karan, Shibani und Kajol auf die Bühne, und dann endlich Shah Rukh. Er war ganz in seinem Element, nutzte die wenige Zeit, die er hatte, voll und ganz. Als wir ihn aus dem ersten Rang riefen, schickte er uns sogar einen Handkuss.

Den Heimweg hab ich nur noch vage in Erinnerung und schon am nächsten Tag folgte die zweite Vorstellung, die wir im Friedrichstadtpalast genießen durften. Auch wenn wir diesmal schon wussten, was kam, war es wieder genauso spannend und vielleicht noch ergreifender. Diesmal konnte ich die Untertitel sein lassen und mich ganz auf Shah Rukh und Kajol konzentrieren. Das Aufstehen und Verlassen des Kinos fiel uns jedoch noch schwerer. Abgerundet wurde der Tag von einem spontanen und damit noch schöneren Treffen einiger Mädels hier von meiner Seite im danebenliegenden Bombay, das erst Mitternacht endete.

Dann will ich auch kurz was zu dem Film schreiben, da es mir sauer aufstößt, dass manche schon richtig Angst vor dem Film haben, nachdem sie die Kritiken lasen. Das hat dieser großartige Film nicht verdient.
Mittelpunkt dieser typisch indisch epischen Erzählung ist die Liebesgeschichte von Mandira, einer hinduistischen Frau, nach Scheidung allein erziehende Mutter eines Jungen, und dem autistischen Rizvan, der nach dem Tod der Mutter nach Amerika kommt, um bei seinem verheirateten jüngeren Bruder zu leben. Rizvans Autismus, das Aspergers Syndrom, ist hochfunktionell, daher kann er zum Beispiel ein relativ selbständiges Leben führen und einem Job nachgehen, mehr oder weniger erfolgreich. Dabei trifft er auf die pragmatische Mandira. Ihre Stimme, ihr Lachen, ruft eine Reaktion in Rizvan hervor, der nur bedingt zu Gefühlen fähig ist, oder darin, Beziehungen zu anderen Menschen aufzubauen. Und seine Bemühungen, mit seinen eingeschränkten Möglichkeiten um Mandira zu werben, ihre Anstrengungen, ein halbwegs normales Familienleben aufzubauen, der elfte September, der dies schlagartig zunichte macht und Rizvans als auch Mandiras sprichwörtliche Reise zurück zu einander bildet die Handlung des Films. Dazu kommen parallele Handlungsstränge, die alle irgendwie dazu in Beziehung stehen und die Geschichte abrunden.

In diesem Film prallen Welten zusammen, nicht nur kulturell, religiös und rein räumlich, sondern auch die Weltbilder so genannter normaler Menschen mit dem eines durch angeborenen Autismus ganz anders seine Umgebung wahrnehmenden Menschen. Wir sehen in diesem Film durch Rizvans Augen, hören durch seine Ohren, erleben die Welt auf die Art, wie er sie wahrnimmt. Seine Stimme führt uns, er nimmt uns mit in seine Vergangenheit und dann auf seine Reise. Seine Welt ist schlicht und unkompliziert, es gibt nur Gut oder Böse, Wahrheit oder Lüge. Dank einer liebevollen und einfühlsamen Mutter, die ihn positiv beeinflusst hat, ist er bedingt in der Lage, Gefühle auszudrücken und zu verstehen. Seine Andersartigkeit manifestiert sich in seiner schonungslosen Ehrlichkeit, Gradlinigkeit, seinem Hang, alles wörtlich zu nehmen, seiner Abneigung gegen Lärm und die Farbe Gelb und eine gewisse Distanz gegenüber anderen Menschen. Er kann kaum jemanden in die Augen sehen und mag es nicht, berührt zu werden. Sein großer Vorteil gegenüber anderen ist allerdings seine völlige Vorurteilslosigkeit. Für ihn gibt es nur gute und böse Menschen. Und damit war die Wahl des Protagonisten für diesen Film ideal. Nur so konnte Rizvan glaubwürdig die Botschaft des Films wiedergeben, es gibt nur gute und böse Menschen.

Ich habe einige Bücher von Autisten gelesen und einige Filme gesehen und finde Shah Rukhs Spiel stimmig und nicht übertrieben. Sicher hat er einige Eigenheiten in einen Topf geworfen, die so vielleicht nicht auftreten, aber das hat er auch schon im Vorfeld erwähnt. Es ist schon ein Leistung, diese Merkmale so überzeugend rüberzubringen, wie er es hier tut. Peinliche Situationen, bedingt durch Rizvans Unfähigkeit zu lügen oder seinen Hang, alles wörtlich zu nehmen, sind nur peinlich aufgrund der Unfähigkeit einer generalisierten und stereotypisierten Umwelt, die ihre kindliche Unschuld verloren hat, Andersartigkeit zu tolerieren.

Die Figuren des Films sind bedingt durch das indische Zielpublikum teilweise stark überzeichnet. So sind viele westliche Charaktere blond und blauäugig, die Asiaten landestypisch. Das gleiche gilt für die Handlung, die dramatisch den buchstäblichen, aber auch realen Bruch in der heilen Welt des amerikanischen Traums zeichnet, als plötzlich religiöse, rassistische und kulturelle Differenzen offenkundig zum Thema werden. Da gehen nicht nur Fensterscheiben zu Bruch, da werden langjährige Freundschaften neu bewertet, Äußerlichkeiten plötzlich wichtige Merkmale. Alles sicher nicht neu oder überraschend, aber wunderbar in eine interessante, spannende, ergreifende und nachdenkliche Handlung verwoben.

Hauptaussage des Films ist für mich die nach dem elften September erfolgte Etikettierung von Gruppen, sei es politisch, religiös oder kulturell, nach Lebensweise oder Vorlieben. So ist Rizvan plötzlich der Buhmann in einer kleinen Gemeinde, die nach den traumatischen Ereignissen ein Ventil sucht. Nach Mandiras großem Verlust überträgt sie ihre ohnmächtige Wut auf ihn. In ihrer Verzweiflung fordert sie ihn auf, allen Menschen zu sagen, er sei kein Terrorist, am besten gleich dem Präsidenten der Vereinigten Staaten. Und er, der alles wörtlich nimmt, macht sich auf den Weg. Unbeirrbar folgt Rizvan dem Präsidenten quer durch Amerika und bietet mit dem, was er tut oder ihm widerfährt, anderen Menschen die Gelegenheit, die Welt mit seinen Augen zu sehen, die unkomplizierte Unschuld wieder zu finden, um die Probleme schlicht und konkret anzugehen, anstatt alles zu verkomplizieren.

Ein wichtiger Stützpfeiler ist ihm dabei seine Religion, die ihm von seiner Mutter anschaulich vermittelt wurde. Anstatt nur zu reden, lebt Rizvan seine Religion der Liebe und Toleranz und führt durch seine teils ungewöhnlichen, aber effektiven Handlungen Gewalt und Vorurteile ad absurdum. So betet er, wenn er die Notwendigkeit danach verspürt, auch wenn er dadurch auf Ablehnung oder Misstrauen stößt. Und seine Liebe zu Mandira lässt ihn alle Hindernisse überwinden, Folter und Diskriminierung überstehen. Wie Shah Rukh all das darstellt und übermittelt, ist eine großartige schauspielerische Leistung. Ohne sich hinter seinen üblichen Manierismen verstecken zu können, zeigt er hier die Emotionen völlig nackt und ohne Filter, sei es negativ oder positiv. Er ist nur zwei, drei Mal aus der Rolle gefallen, doch da kann ich nicht beurteilen, ob es absichtlich ist oder nicht.

Shah Rukh bildet hier mit Kajol mal wieder eine denkwürdige Paarung. Ihr Zusammenspiel ist einfach perfekt und Kajols Leistung geht unter die Haut. Ihre Gefühle kommen in den intensiven Szenen direkt und schonungslos beim Zuschauer an. Erwähnenswert sind auch die komischen Szenen der beiden, schlicht und liebenswert, kindlich naiv und doch sehr erwachsen.

Bezeichnend sind die Geschehnisse rund um die Veröffentlichung des Films mit seinem universalen Thema, die genau diese Probleme von Nationalismus und Etikettierung aufzeichnen. Die Handlung ist gar nicht so weit hergeholt oder unrealistisch, wie sich gezeigt hat und wird sicher weltweit wie geplant die Menschen ansprechen. So empfinde ich die Überschwemmungsszene in dem kleinen Dorf auch nicht als melodramatisch oder überzogen. Sicher gibt es in diesem großen Land noch heute Gemeinden, die autark und mit minimalem technischem Fortschritt leben. Und das bei einer Naturkatastrophe erst die stark besiedelten Gebiete Hilfe erhalten und die kleinen Dörfer auf Hilfe warten müssen, ist auch nachvollziehbar. Rizvan reagiert wie ein Kind, Freunde brauchen Hilfe, also macht er sich auf den Weg, ohne komplizierte Überlegungen anzustellen, er handelt einfach und wächst dabei über sich hinaus. Da ist kein falscher Pathos oder Melodramatik.

Für mich ist dieser mutige Film von Karan eine gelungene Mischung aus Lachen und Weinen, unfreiwilliger Situationskomik, Spannung und Wohlfühlfilm. Tolle schauspielerische Leistungen der beiden Hauptdarsteller, eine stimmige Besetzung der Nebenrollen, großartige Bilder und dazu eine ansprechende Musik. Und eine überraschende Wendung, wenn man schon ein Happy End erwartet…