Chalte Chalte (2003, dt. Schritt für Schritt) ist nach Phir Bhi Dil Hai Hindustani und Asoka die dritte Produktion von Dreamz Unlimited und musste erfolgreich sein, um die Verluste der vorigen Projekte auszugleichen. Daher ging Shah Rukh notgedrungen auf Nummer sicher und wählte ein todsicheres Thema, in dem er all seine Qualitäten ausspielen konnte. Allerdings hat Shah Rukh auch hier das Experimentieren nicht verlernt, denn der Film beginnt erst nach der Intermission so richtig, nämlich da, wo viele andere aufhören und die eigentlichen Probleme beginnen, nach der Hochzeit.

Raj Mathur (Shah Rukh Khan) nennt eine kleine Transportfirma sein Eigen und hat auf einer Fahrt, bei der er für einen seiner Fahrer einspringt, einen Beinaheunfall mit der lebhaften Priya (Rani Mukherjee), einer Modedesignerin. Es kommt, wie es kommen muss, Raj verliebt sich trotz aller Gegensätze auf der Stelle und will sie wieder sehen. Nach einer verzweifelten Suche findet er sie endlich, nur um zu erfahren, das sie gerade dabei ist, sich in Griechenland mit einem Jugendfreund zu verloben, den ihr Vater als ihren Ehemann auserkoren hat. Raj gibt allerdings nicht auf und bucht denselben Flug nach Athen wie Priya. Amor hat ein Einsehen mit dem Verzweifelten und das Flugzeug muss wegen Wetterproblemen in Mykonos zwischenlanden. Raj nutzt nun jede Gelegenheit, um ihr seine Liebe zu beweisen, er fährt sie sogar die ganze Strecke nach Athen (alle Geografiefreaks aufgepasst: mit dem Auto!) und hat letztendlich auch Erfolg. Priya lässt die Verlobung mit Sameer platzen und heiratet Raj. Doch damit beginnen die Schwierigkeiten erst. An nichtigen Alltagsproblemen, der Bedrohung von Rajs Firma durch skrupellose Spekulanten und seiner Eifersucht auf Sameer droht das junge Glück zu zerbrechen…

Chalte Chalte ist wie gesagt die dritte gemeinsame Produktion von Shah Rukh, Juhi Chawla und Aziz Mirza, der auch die Regie führte. Rani Mukherjee hatte den Film erst abgelehnt, da er sie an Saathiya erinnerte, doch als Aishwarya Rai wegen persönlicher Probleme mit ihrem damaligen Freund Salman aus dem Film ausschied, übernahm sie die Rolle. Salman ist damals auf den Sets erschienen und machte eine unschöne Szene, die auch Shah Rukh einbezog. Dieser hatte keine andere Wahl, als die Konsequenzen zu ziehen, da zu viel auf dem Spiel stand, dieser Film musste einfach ein Erfolg werden.

Spoiler
Die erste Hälfte des Films ist eine reine Shah Rukh Show, dass der Regisseur sicher manchmal Mühe hatte, ihn nicht aus dem Ruder laufen zu lassen. Er spielt den impulsiven und emotional überdrehten Raj mit vollem Einsatz, sei es beim Management seiner Firma oder dem Werben um Priya. Aus einfachen Verhältnissen stammend, schafft es Raj dank seines umwerfenden Charmes auch schließlich, die erfolgsorientierte, aus reicher Familie stammende Priya herumzukriegen. Er flirtet so hemmungslos, das es wohl jeder Frau schwindlig werden würde.

Die Liebesgeschichte von Raj und Priya wird anfangs von Freunden des Paares rückwärts erzählt, als Beispiel einer perfekten Lovestory, um dann zur Intermission mit einem fast schmerzhaften Ruck in der Dramaturgie in die Realität zu wechseln. Mir gefällt diese zweite Hälfte besser, wo die Geschichte emotional dramatischer und vielschichtiger wird. Hier zeigt Shah Rukh vor allem mit seinen ausdrucksstarken Augen, das er mehr kann als nur flirten. Wunderbar gespielte Alltagsszenen wechseln sich ab mit ergreifenden, wenn Raj am Boden zerstört und mutlos nach Hause kommt und im Dunkeln sitzt, um dann wieder völlig grundlosen Eifersuchtsszenen Platz zu machen. Einfach genial auch die betrunkene Szene, in der mir allerdings die arme kleine, schon recht mitgenommen aussehende Palme leid tut. Und all das spielen beide mit erfrischender Leichtigkeit und absolut überzeugend, dass es unter die Haut geht.

Die Beziehung steht von Anfang an unter keinem guten Stern, sie haben sich ja auch gar nicht die Zeit genommen, sich erst mal kennen zu lernen. Der Beinaheunfall am Anfang ist schon ein Omen und sie könnten gegensätzlicher nicht sein. Schon als Raj Priya in seinem (Junggesellen)heim willkommen heißt, sagt ihr Blick alles. Ihre Ordnungsliebe und Rajs unbekümmerte Gedankenlosigkeit prallen immer wieder aufeinander und sorgen schon am frühen Morgen für Streitereien, die jedoch immer noch mit beiderseitigem guten Willen bereinigt werden können. Doch als bei Raj Existenzängste hinzukommen und seine grundlose Eifersucht auf den erfolgreichen und wohlhabenden Sameer sowie seine unterschwellige Angst, nicht gut genug für Priya zu sein, werden seine Szenen Priya gegenüber zynisch und verletzend.

Die gut gemeinten Versuche von Priyas Tante und Sameer, dem Paar zu helfen, und Priyas Erfolg als Modedesignerin machen alles nur noch schlimmer. Er fühlt sich immer mehr wie ein Versager und rastet völlig aus, als er erfährt, dass seine Firma mit dem Geld von Sameer gerettet wurde. Eine unüberlegte Handlung von Priya, das Geld anzunehmen, wie sie aber erst später erkennt. Denn damit hat Raj, der nie Hilfe angenommen hat, nun auch noch seinen Stolz verloren und macht in seiner Enttäuschung eine furchtbare Szene, die Priya keine andere Wahl lässt, als ihn zu verlassen. Der drohende endgültige Verlust seiner großen Liebe, als Priya nach Griechenland zurückkehren will, bringt ihn dann endlich zur Vernunft und lässt ihn seine Fehler einsehen.

Diese höchst emotionale Szene am Flughafen ist sicher etwas too much, aber ich liebe so was. Shah Rukh ist sich wirklich für nichts zu schade, das er sogar unter Tränen auf Knien rutscht. Vielleicht hatte er auch Tränen in den Augen, weil er sich davor bei dem Stunt über die Trolleys die Rippen angeknackst hatte. Noch besser sind die leisen Szenen, wenn er sich von Priya oder dem Stadtstreicher, gespielt von Johny Lever (ja, der ist auch dabei, und in einer sehr schönen Rolle diesmal), trösten lässt. Die Szene, als dieser ihm die Träne wegwischt, ist einfach bezaubernd. Der kleine Hund ist goldig und witzig ist auch, das Johny ständig Le Jayenge singt…

Rani Mukherjee sehe ich sehr gerne an Shah Rukhs Seite, ich mag ihre wunderbar rauchige Stimme und ihr Temperament. Sie kann mühelos mit ihm mithalten und es sowohl in emotionalen wie auch dramatischen Szenen mit ihm aufnehmen. Ihre Interaktion als Ehepaar ist einfach sehenswert natürlich. Die beiden passen perfekt zusammen und lassen es auch erotisch knistern.

Rani macht in ihrer Rolle als Priya eine größere Wandlung durch als Raj, indem sie sich aus Liebe zu ihm mühelos in ihrer Rolle als Hausfrau einfügt, sich aber auch freut, als sie wieder in ihrem Beruf arbeiten kann. Obwohl sie anderen Umgang gewöhnt ist, kommt Priya wunderbar mit den einfachen Menschen aus dem Freundes- und Bekanntenkreis ihres Mannes zurecht, gemeinsam knüpfen sie sogar neue Bande mit denen, die ihnen geholfen haben, zusammen zu kommen. Priya ist eine Frau mit ihrem eigenen Kopf, ihr westlich angehauchte Erziehung macht sie zu einer eigenständigen Persönlichkeit, die der Partner ihres Mannes sein möchte und nicht sein Fussabtreter. So hat sie auch überhaupt keine Skrupel, ihm ihre Meinung zu sagen.

Chalte Chalte ist mal wieder ein richtig schöner Liebesfilm um ein gegensätzliches Pärchen, der einfach Spaß macht, mitleiden und heulen lässt und mit einem zwar vorhersehbaren, aber nichtsdestotrotz ergreifenden Happy End aufwartet. Auch wenn sie sich konsequenterweise gleich wieder wegen seiner Schuhe in den Haaren liegen. Der Film hat wunderbar liebevolle Szenen, aber auch ernüchternd normale, die wohl in jeder Beziehung vorkommen. Dann wieder kleine Szenen, die einfach anrührend sind, wie die ältere Dame, die sich im Flieger an Shah Rukh kuschelt und das Küsschen, das er ihr auf die Stirn gibt, die Szene, als Priya Raj das Handtuch wegzieht oder nicht zu vergessen, als er den Nachbarn spielt. Doch immer wieder folgen auf heitere Szenen emotional aufwühlende, ehe die Handlung ins Seichte abflachen kann.

Eine berührende Rolle spielt auch Rajs Talisman, das Geschenk eines Freundes. Seine Worte, als er Gott bittet, auf seine große Liebe aufzupassen, wenn er mal nicht da sein sollte, um das zu tun, bringen Priya letztendlich zu ihm zurück, als er ihr nach der Trennung durch einen gemeinsamen Freund den Talisman überbringen lässt. Eine größere Demonstration seiner Liebe wäre kaum möglich gewesen.
In diesem Film sind alle Verletzungen seelischer Natur, die vielleicht noch mehr schmerzen, auch den Zuschauer. Das einzige Blut, das fließt, stammt von Rajs Finger, als er sich in der Küche betätigen will, um Priya zu versöhnen. Und doch wird der Film keinen Augenblick langweilig.

Der Film wartet mit großartigen Bildern und mitreißenden Songsequenzen auf. Ashok Mehta, der Kameramann, hat wirklich tolle Arbeit geleistet, teils mit ungewöhnlichen Kameraeinstellungen bei den Songs.
Die Musik von Jatin-Lalit ist sicher nicht spektakulär, aber stimmig und passt durchgängig zur Handlung. Dagariya Chalo ist ein mitreißender Song der gemeinsamen Heimfahrt von Raj und Priya und kommt mit schönen Bildern des ländlichen Indien daher. In Ghum Shuda sucht Raj in der ganzen Stadt nach Priya, ich mag die Inszenierung, bei der sich Shah Rukh mal wieder in luftigen Höhen bewegen darf. Ich glaub, der schwarze Labrador ist sogar sein eigener.

In den eingängigen Songs Suno Na Suno Na und Taube Tumhare Ishare verschlägt es uns nach Griechenland, großartige Bilder mit viel blau und weiß, ein sexy Shah Rukh und eine wunderschöne Rani, mehr Worte braucht es nicht.
Am emotional ergreifendsten ist wohl Chalte Chalte, ein Song, der nicht einfach nur unterhält, sondern komplett zur Handlung gehört, mit berührenden Szenen, die wehtun. Wie auch Laye Vi Na Gayee…
Fazit: ein ganz normaler Hindifilm ohne spektakuläre Handlung, Action oder blutiger Climax, der trotzdem in seiner Normalität berührt und seiner emotionalen Dramatik unter die Haut geht. Warmherzig, einfühlsam und humorvoll, traditionell, ohne konservativ oder belehrend zu sein. Ein absoluter must see Film für alle Shah Rukh und Rani Fans.