Rahul: Wow. Frühmorgens so aufgedonnert, um joggen zu gehen?
Meenamma: Nein, es ist für das Ritual des Dorfes für Frischvermählte.
Rahul: Ritual?
Meenamma: Der Ehemann steigt mit seiner Frau in den Armen die Stufen zum Tempel hinauf. Sie glauben, es stärkt das Band zwischen Frau und Mann.
Rahul: Okay.
Meenamma: Bist du stark?
Rahul: Muss man stark sein, um einem Ritual zuzuschauen?
Meenamma: Wir sollen nicht zuschauen, wir müssen es tun.
Rahul: Hä?
Meenamma: Für sie sind wir verheiratet.
Rahul: Nein, nein, nein! Ich werde mich nicht zu irgendwas drängen lassen.
Meenamma: Nein, die Situation ist nun mal so.
Rahul: Was?
Meenamma: Hilflosigkeit.
Rahul: Welche Hilflosigkeit?
Meenamma: Möchtest du hierbleiben oder nicht?
Rahul: Ja.
Meenamma: Dann musst du mich tragen. Ich hoffe, du lässt mich nicht fallen.
Rahul: Meenamma, du vergisst das was. Unterschätze nicht die Macht des…
Meenamma: … Zuckerbäckers?
Rahul: Des einfachen Mannes. (reißt Meenamma energisch in seine Arme) WO ist der Tempel? Wo IST der Tempel!

Ein alter Brauch in Vidamba, ein Mann trägt seine Frau 300 Stufen zu einem Tempel hinauf, um zu zeigen, dass er sein Leben lang für sie Sorge tragen kann und wird. Ein Film, der sich während dieser 300 Stufen von einer Komödie in eine Romanze verwandelt. Ein Nesthocker, der bisher nichts in seinem Leben zu Ende gebracht und vor seinem Schatten Angst hatte, entdeckt endlich etwas, wofür er durchhält. Von Stufe zu Stufe wird sein Gesicht entschlossener, verbissener. Er weiß es noch nicht, doch er hat sich verliebt. Die Frau sieht ihn an, sie weiß es, aber sie schweigt.

Doch beginnen wir, wie Rahul sagen würde, mit dem Anfang. Rahul Mithaiwala (Shah Rukh Khan) lebt mit seinen vierzig Jahren immer noch bei seinen Großeltern, die ihn aufgezogen haben, seit er mit acht Jahren seine Eltern bei einem Autounfall verlor. Der Familie gehört eine Confiserie, sie sind Halwai und auch Rahul arbeitet dort. Mit den Mädchen hat es nicht so geklappt, zum einem kam ihm da immer wieder sein obsessiver Großvater dazwischen und zum anderen war sein Berufstand seiner Ausstrahlung auch nicht gerade förderlich. Als sein Großvater plötzlich (er wurde immerhin 99) mitten in einem verpassten Hunderter seines Idols Sachin Tendulkar das Zeitliche segnet, hat seine Großmutter einen letzten Wunsch an ihn, bevor er nun endlich sein Leben selbst in die Hand nehmen kann. Sie möchte, dass er die Hälfte seiner Asche nach Rameshwaram bringt, um sie dort im Meer zu verstreuen.

Rahul nimmt das nicht so ganz ernst, da er lieber mit seinen Freunden einen Trip nach Goa machen möchte, er will aber auch seiner Großmutter nicht wehtun. Also tut er so, als nähme er einen Zug in den Süden, nur um bei nächster Gelegenheit wieder auszusteigen. Doch das Schicksal will es, dass er in den Chennai Express steigt und es kommt in Gestalt der jungen Tamilin Meenalochni „Meenamma“ Azhagusundaram (Deepika Padukone), auf der Flucht vor vier wilden Kerlen, die sie wieder heimbringen sollen, zu ihrem Vater, dem örtlichen Don in Komban, der sie aus altbekannten Gründen mit dem benachbarten Don Tangaballi zwangsverheiraten will.

Rahul, anfangs noch der Maulheld in Gegenwart eines schönen Mädchens, wird aufgrund seiner großen Klappe und der Sprachbarriere geschuldeten Irrungen und Wirrungen in die eigentlich sehr ernste Geschichte hineingezogen. Die Kabbeleien zwischen dem arglosen Rahul und Meena, die ihn erst für ihre Zwecke benutzt, bis sie merkt, dass sie sich in ihn zu verlieben beginnt, führen über eine aberwitzige Verfolgungsjagd nach der anderen bis hin zu einem actionreichen Höhepunkt, einem Duell mit Tangaballi, dem sich Rahul, inzwischen auch seiner Liebe zu Meena bewusst, nicht mehr entziehen kann und will.

Chennai Express ist eine romantische Actionkomödie, eine Koproduktion von Red Chillies Entertainment und UTV Motion Pictures, Regie führte Rohit Shetty. Der Film war auch die zweite Zusammenarbeit von Shah Rukh und Deepika Padukone nach ihrem Blockbuster Om Shanti Om.

Ich hab ein Problem mit Komödien. Ich mag leise Ironie und beißenden Sarkasmus, auch schwarzen Humor, geschickt eingesetzte Situationskomik und Wortwitz, am besten schön subtil. Mit Haudraufkomik und Slapstick kann ich nicht so gut. Das tut mir körperlich weh, Fremdschämfaktor hoch zehn. Meine Freundinnen haben sich kürzlich einen Spaß draus gemacht, mit mir Duplicate zu schauen… Ich bin froh, dass Shah Rukh in seinem Repertoire nicht allzu viele davon hat. Chennai Express, ich hatte Angst davor, doch der Film kriegt die Kurve, gerade so, bis auf eins, zwei Ausnahmen, aber die kann ich ausblenden. Eher parodistisch und selbstironisch angelegt, schafft der Film die Balance zwischen komischen, romantischen, nachdenklichen und actiongeladenen Szenen bravourös. Amateurhafte (echte) Gesangseinlagen der Akteure mit Songs aus bekannten Hindi Songs sorgen ebenso für spontane Lachanfälle wie gekonnt eingesetzte, teils selbstironische Einzeiler aus anderen Filmen wie My Name Is Khan und Life of Pi. Dann wieder von Rohit Shetty beeindruckend umgesetzte wahnwitzige Verfolgungsjagden, unterbrochen von ruhigen, zunehmend romantischen Szenen, in denen sich die beiden Protagonisten kennenlernen und näherkommen.

Eine beeindruckende Mischung, endlich mal wieder ein echter Masala Unterhaltungskünstler, wie er im Buche steht, mit einer Geschichte, die mitfiebern und -leiden lässt. Hut ab vor Rohit Shetty, der sich hier wohl zum ersten Mal auch an Romantik versucht und einem Shah Rukh, der sich wie ein Kind mit Körper, Mimik und Stimme in das anfängliche Chaos stürzt, um sich dann gnadenlos als Nicht-Held quer durch seine Filmografie zu parodieren. Erst zum Schluss, bei einem fast ästhetisch inszeniertem Kampf, in dem nur ein Minimum an Blut fließt (natürlich hauptsächlich eindrucksvoll im Gesicht von Shah Rukh verteilt, ich liebe meinen Khan schön blutig), darf Rahul über sich hinauswachsen, als er erkennt, dass man vor Problemen nicht weglaufen kann, sondern sich ihnen stellen muss. Vor allem, wenn es darum geht, für seine Überzeugungen und Liebe zu kämpfen. Und doch lässt er am Ende Meena die Wahl, er reißt sie nicht nach Wildwestmanier wie den Preis des Siegers in die Arme, sondern steht eher schüchtern vor ihr und fragt sie, ob sie ihn heiraten möchte.

Keep it simple ist das oft zitierte Mantra von Shah Rukh Khan und auch hier wird es erfolgreich eingesetzt. Verpacke eine Botschaft in einen auf den ersten Blick leichten, unterhaltsamen Film mit romantischen Untertönen und locke damit die Menschen aller Klassen in die Kinos. Mission gelungen.
Die gesellschaftliche Stellung der Frau ist in Indien (und leider nicht nur da) ein heikles und brandaktuelles Thema, wenn man die Nachrichten schaut. Und dies lässt sich gerade in einer Bevölkerungsschicht, die kaum lesen und schreiben kann, nicht mit dem erhobenen Zeigefinger ändern. Hier ist ein Film für ein Massenpublikum genau richtig. Respekt muss vorgelebt werden. Man mag streiten, ob Rohit und Shah Rukh es konsequent durchgezogen haben, aber Deepika als Meena hatte eindeutig mehr zu tun als üblich und bot Shah Rukh öfters mal Paroli. Sehr gelungen fand ich Rahul’s emotionale Ansprache am Ende, die er ohne Rücksicht auf sprachliche Barrieren an den Vater richtete, wobei ich aber glaube, das hier auf einer bestimmten Ebene wirklich von allen verstanden wurde, was er über die längst überfällige Selbstbestimmung der Frau zu sagen hatte.

Shah Rukh hat diesen Film mal wieder mit vollem Einsatz gespielt, nicht nur im komödiantischen Teil, sondern vor allem auch in den Actionszenen. Prügelszenen und Feuer scheinen sowieso ein Faible von ihm zu sein, auch hier ist er wieder einmal ohne Double zu Gange. Sein Spiel war endlich mal wieder leicht und locker, allerdings mit mehr Nuancen als früher, er nimmt sich und den Film nicht zu ernst, darf overacten, spielt laut und übertrieben, wo es hingehört und zurückgenommen in den leiseren Szenen. Auch an Augen-Blicken fürs Herz fehlt es nicht, seien es bewegende Szenen mit Deepika vor grandiosem Hintergrund oder die Szene, als Rahul die Asche ins Meer streut. Für mich war die Szene am eindruckvollsten, als er den Jeep kreiseln lässt, während er Meena hinterher schaut und jene, als er mit entschlossener, fast fatalistischer Miene endgültig ins Dorf zurückfährt, mit der schlafenden Meena an seiner Seite, um sich seinem Schicksal zu stellen. Leider hat er hier eine Sonnenbrille auf.

Deepika Padukone. Viele vermissen hier eine Chemie zwischen den beiden, da der Film unbedingt mit Dilwale Dulhania Le Jayenge verglichen werden muss. Alles nur aufgrund einer ähnlichen In-den-Zug-zieh-Szene, die mit den vier Schlägertypen prompt entmystifiziert wird. Der Film ist ein völlig anderer, es ist KEIN Liebesfilm, die Liebesgeschichte beginnt ja erst zum Schluss so richtig und bleibt der Fantasie überlassen. Deepika passt wunderbar in die Rolle der überdrehten, keineswegs fügsamen und duldsamen Meena, die selbst Entscheidungen trifft und nicht dem Helden bedingungslos hinterherläuft. Sie sagt Rahul ihre Meinung und zieht ihn gnadenlos auf. Und ihre mondsüchtige Szene ist einfach nur zum niederknien.

Die übrigen Figuren des Films sind eigentlich Randfiguren, bis auf Tangaballi, der wohltuend heraussticht. Überhaupt fehlen so richtige Feindbilder, auch wenn Vater und Verlobter Meena ihren Willen aufzwingen wollen, geschieht dies nicht aus reiner Bosheit, sondern eher verknöcherter Tradition und weil es eben nicht üblich ist, die Frau nach ihrer Meinung zu fragen. Dass Tangaballi Humor hat, bemerkt man spätestens, wenn er sich in Rahul und Meena’s konspirative Gesangseinlagen einklinkt. Tangaballi ist körperlich eindeutig überlegen, doch er erkennt die innere Stärke an, die Rahul entwickelt und zieht am Ende den Hut vor dessen Willen, nicht aufzugeben. Die Figur wirkt trotz allem sympathisch, liegt sicher auch an dem Schauspieler. Bei dem Vater bin ich mir nicht mal sicher, ob er wirklich so feindlich eingestellt war, es wirkt eher so, als will er Rahul zwingen, Farbe zu bekennen und sich seiner Tochter würdig zu erweisen. Sobald er das tut, lässt er sie gehen, buchstäblich. Die ganze Lungitragende Gefolgschaft nimmt man trotz bedrohlichen Gebarens irgendwie nicht so ganz ernst – es ist ja auch kein düsteres Rachedrama, sondern eine Actionkomödie – außer sie schwingen potenziell tödliche Gegenstände. Ich bin mir wie gesagt nicht mal sicher, ob Rahul wirklich echte Gefahr in dem Dorf gedroht hätte, wenn er einfach gegangen wäre.

Wenn ich die Landschaftsaufnahmen und teils weit ausgreifende Kameraführung sehe, bedaure ich heute noch sehr, dass ich den Film nicht im Kino sehen konnte, die Farben müssen phantastisch gewesen sein. Indien ist landschaftlich so überwältigend und vielseitig, da muss nicht im Ausland gedreht werden. Es ist wohltuend, dass auch die Songs durchweg in Indien gedreht wurden.

Die Songs. Komponiert von Vishal-Shekhar und mit der Lyrik von Amitabh Bhattacharya gehört der Soundtrack zu denen, die erst im Film richtig rund wirken. Ich hatte ihn zwar schon vor dem Film gehört, doch angesprochen hat mich die Musik erst mit den dazugehörigen Szenen, es ist kein eigenständiges Album wie beispielsweise Jab Tak Hain Jaan, sondern ein Filmsoundtrack. Im Film funktionieren die Songs, sie passen in die Handlung und haben teilweise richtig mitreißende Rhythmen wie der 1234 Get on the Dance Floor Song, in dem Priyamani ein beeindruckendes Cameo hinlegt. Mit richtiggehenden Songsequenzen geht Chennai Express eher sparsam und punktgenau um, der Titelsong unterstreicht die turbulenten Szenen, während der Lungi Dance den krönenden Abschluss bildet.

Chennai Express brach in Indien bereits nach vier Tagen die 100 crore Marke und stellte damit einen neuen Rekord auf. Doch das war erst der Anfang, nach nur zwei Wochen hatte er 200 crore eingespielt und wurde in der dritten zum bisher erfolgreichsten Hindifilm. Auch im Ausland klingelten die Kassen, selbst in Deutschland, wo der Film leider an der, sagen wir es mal freundlich, sparsam eingesetzten Werbung und einer viel zu geringen Anzahl an Kinos krankte, kam er an dem Wochenende auf Platz 19 der Kinocharts. Da ich termin- und krankheitsbedingt in keines der von Thüringen recht weit entfernten Kinos fahren konnte, musste ich mit der DVD vorliebnehmen. Aber es ist einfach nicht dasselbe Erlebnis, denn dieser Film ist für die große Leinwand gemacht. Ein unterhaltsamer Film für die ganze Familie, der eine einfache, doch so wichtige Botschaft rüberbringt: Respekt gegenüber den Frauen und Mädchen.

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