Als junge Frau in Indien hat es Kaira (Alia Bhatt) mit ihrem eigenen Kopf und Karrierewunsch als Kamerafrau nicht leicht. Sie hat ganz genaue Vorstellungen, wie ihre Laufbahn sowie der Mann fürs Leben aussehen sollen und nimmt sich nicht die Zeit, auf ihre Mitmenschen einzugehen. Ihre hohen Ansprüche privat und beruflich an sich selbst und andere machen sie unruhig und ihrer Umgebung gegenüber launisch und unleidlich. Sie hat vergessen oder nie gelernt, Fehler und Unvollkommenheiten zu tolerieren und das Glück in den einfachen Dingen des Lebens zu finden und zu genießen. Außerdem ist ihr Verhältnis zu ihren Eltern aus anfangs unersichtlichen Gründen gestört. Kein guter Ausgangspunkt, um ihren Platz im Leben, berufliche Freiheit und die Liebe zu finden.
Als ihre kleine Welt dann noch aufgrund privater Hiobsbotschaften und der Kündigung ihrer Wohnung zusammenzubrechen droht, macht sich der seelische Druck durch Schlaflosigkeit bemerkbar. Sie braucht jemand, der ihr zuhört und sucht sich nach anfänglicher Skepsis professionelle Hilfe. Die findet sie in dem eigenwilligen Psychologen Jahangir (Shah Rukh Khan), der ihr hilft, sich neu zu betrachten und zu verstehen, dass weder das Leben noch der Partner perfekt sein müssen, um glücklich zu werden.

Uff, selten hatte ich solche Mühe, in einen Film hereinzukommen, da ich wirklich Schwierigkeiten hatte, mich mit Kaira anzufreunden. Sie war mir einfach unsympathisch mit ihrer Art, mit sich und anderen Menschen umzugehen. Bis ich merkte, das Mädel ist sich selbst nicht sympathisch und fühlt sich einfach nicht wohl in ihrer Haut. Während man als Zuschauer langsam näher an den Charakter herangeführt wird und immer mehr über ihre Vergangenheit erfährt, legt sich die anfängliche Antipathie und das Verständnis wächst. Eigenständigkeit zu lernen, sich von den Eltern abzunabeln und seinen Platz im Leben zu finden, ist nirgendwo leicht und in einem Land wie Indien, wo der Lebensweg von Mädchen größtenteils immer noch von Eltern und Gesellschaft vorgeschrieben und reglementiert ist, wohl noch schwieriger.

Regisseurin Gauri Shinde liefert mit Dear Zindagi einen gelungenen Mix aus subtiler Sozialkritik ohne erhobenen Zeigefinger und farbenfroher Unterhaltung vor schöner Kulisse, in dem auch die Ohren und das Herz nicht zu kurz kommen. Und das mit einem Thema, das leider immer noch ein Tabuthema ist, über die Unpässlichkeiten der Seele, ihren Ursprung, ihre Manifestationen und ihre Heilung. Dear Zindagi zeigt anschaulich die Kehrseiten unserer modernen Welt mit ihren wachsenden Anforderungen, wobei die menschliche Seele nicht immer Schritt halten kann und Hilfe braucht.

Alia Bhatt spielt wie schon gesagt fast zu überzeugend die Rolle einer anfangs reservierten, jungen Frau auf Selbstfindung. Mal überschäumend lebendig, mal abgrundtief traurig, dann wieder liebenswert ernsthaft in ihrem Beruf oder eigentlich Berufung, bis hin zu schmerzhaft ehrlichem Zorn gegenüber ihren Eltern. Als Kaira es schafft, Tabus zu brechen, sich ihren verdrängten Ängsten zu stellen und ihre seelischen Fesseln zu sprengen, werden auch ihre Gefühlsäußerungen deutlicher und greifbarer. Die junge Schauspielerin hat es geschafft, mich in jeder Hinsicht zu überzeugen. Sie hat großes Potenzial, ich bin sicher, dass wir noch tolle Filme von ihr erwarten können, wenn sie die Chance erhält.

Shah Rukh Khan ist die perfekte Besetzung für diesen Psychologen mit seiner etwas anderen und erfrischenden Herangehensweise, nicht nur beschädigte Seelen zu reparieren. Behutsam und mit überraschenden Methoden schafft es seine teils selbstironische Figur, die junge Frau aus ihren festgefahrenen Ansichten und in der Kindheit angelegtem Panzer zu befreien und sich selbst kennen und das Leben wieder lieben zu lernen. Dabei dominiert er aber nie die Handlung, hier tritt der Star zurück und der Schauspieler übernimmt. Er verschmilzt praktisch mit der Einrichtung seiner Praxis, die auch ihre Rolle in der Therapie spielt, unterstützt die Protagonistin und fördert den Fluss der Handlung, ohne diese zu übernehmen. Der Film gehört ganz Kaira und ihrer Entwicklung.

Nur ein kurzes Wort zum Fanherz, das trotzdem in kleinen Szenen bedient wird. Shah Rukhs Figur, dessen Geschichte aufgrund der Storygewichtung leider nicht vertieft werden kann und darf, schafft es, Kaira einfühlsam und mit Herzenswärme durch ihren Selbstfindungsprozess zu führen und doch einen beruflichen Abstand zu ihr zu wahren. Auch als das Mädel anfängt, sich zu ihm hingezogen zu fühlen, bleibt er distanziert und entlässt sie lächelnd in ihr Leben, auch wenn man sich wünscht, er würde sie am Ende einfach mal in den Arm nehmen. Doch das wäre unprofessionell und für keinen von beiden hilfreich. Es sind die kleinen Gesten und Augen-Blicke, die durchblicken lassen, dass sie auch ihn nicht kalt lässt. Da kann ein knarzender Stuhl ganz schön verräterisch sein…
(Und was sieht der Mann doch gut aus vor der Kulisse Goas, allerdings hätte ich einmal gerne mein Scherchen gezückt.)

Der kleine Film (in Bezug auf das Budget), der in Indien überraschend gut lief, ist trotz seines eher ernsten Themas unterhaltsam und in einigen Dingen auch für den Zuschauer lehrreich, er hat allerdings einige Längen. Dass ich das mal bei einem Bollywoodfilm sage, aber er hätte ein wenig kürzer sein können. Die Musik lockert die Handlung angenehm auf und untermalt die jeweiligen Stimmungen der Protagonistin gekonnt. Auch ohne übertriebenen Herzschmerz und (Gott sei Dank) unangebrachte Traumszenen bleibt der Zuschauer berührt und etwas nachdenklich zurück.