Dilwale_(2015)_album_cover(Ich habe versucht, möglichst Spoiler frei zu bleiben, zum einen brauch ich niemandem den Film erzählen, der ihn gesehen hat und zum anderen werden ihn viele erst auf DVD schauen können, denen möchte ich den Wow-Moment nicht nehmen.)

Ein ganz normales Brüderpaar in Goa. Raj (Shah Rukh Khan), der früher Kaali hieß, und sein jüngerer Bruder Veer (Varun Dhawan) haben sich eine Werkstatt zum Tunen von Autos aufgebaut, der Ältere kümmert sich liebevoll um seinen jüngeren Bruder, bekocht ihn sogar und vergibt ihm großmütig seine jugendlichen Eskapaden.
Ishita (Kriti Sanon) ist gerade mit ihrer älteren Schwester Meera (Kajol) nach Goa gezogen, die beiden eröffnen ein Restaurant. Bei den bürokratischen Präliminarien begegnen sich Veer und Ishita, sie verlieben sich ineinander und möchten nach dem üblichen Vorgeplänkel auch heiraten. Die beiden jungen Leute müssen nur noch ihre Familien informieren und formal um ihre Erlaubnis bitten.
Alles so normal, daß die farbenfrohe Kleinstadtidylle mit den netten Nachbarn und dem Postkartenpanorama den Zuschauer fast einzulullen vermag, wären da nicht die gewalttägigen Alpträume, unter den Raj zu leiden scheint. Und warum ist Meera so strikt gegen eine Beziehung zwischen ihrer Schwester und Raj’s Bruder, nachdem sie diesen gesehen hat? Warum tragen dessen beiden Freunde, die nebenan ein Café betreiben, Waffen?
Alles Dinge, die auf eine (gemeinsame?) Vergangenheit hinweisen, die nicht ganz so familienfreundlich und harmlos zu sein scheint, und dessen Schatten auch nach 15 Jahren noch das junge Liebesglück zu zerstören drohen.

Rohit Shetty bringt mit Dilwale eine unterhaltsame Mischung aus rasanter Action und ergreifendem Liebesfilm auf die Leinwand, dessen Handlung von den beiden Paaren Shah Rukh/Kajol und Varun/Kriti getragen wird. Ich hatte im Vorfeld so meine Bedenken, ob er diese Mischung richtig hinbekommen kann und war angenehm überrascht. Er kann. Der Film ist ein quirliger Genremix, der nie langweilig wird und immer wieder mit Überraschungen aufwartet. Fliegende Autos hatte ich von Shetty erwartet, der Mann ist eindeutig in Autos verliebt, doch dies so gekonnt vor tollen Kulissen zu choreographieren, daß es wirkt, als wäre Fliegen die eigentliche Bestimmung dieser Vehikel, das hat was. Noch ein Überschlag und noch einer… und da, ja noch einer. Da kann man als Zuschauer nur noch ungläubig mit dem Kopf wackeln. Prügelszenen, die in ihrer brutalen Anmut schon fast an Tänze erinnern, werden tontechnisch in ihrer Gewalt gemindert, gehören aber einfach dazu. Wobei sich der Einsatz von Kunstblut erfreulicherweise auf dramatisch gesetzte Akzente in den Gesichtern der beiden attraktiven Helden beschränkt. Und Varun und Shah Rukh als jeweilige Einmannarmee, die sich nacheinander der brav wartenden Schläger annimmt, ist schon ein beeindruckender Anblick.

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Dilwale als farbenfroh zu bezeichnen, ist eine fast schon sträfliche Untertreibung, anfangs ist man als Zuschauer geneigt, den Umstand zu bedauern, dem Kalender zum Trotz keine Sonnenbrille eingesteckt zu haben. Da kommt mein Lieblingssong Janam Janam als erholsame Abwechslung daher, dessen Schwarzweiß wirkungsvoll mit einzelnen Farben akzentuiert wird. Hier darf frau auch mal leise seufzen, wenn der Regengott beschließt, genau zum richtigen Zeitpunkt seine Schleusen zu öffnen. Hach ja, Shah Rukh und nasse, weiße Shirts…

Dilwale, mit seinen Déjà-vu Momenten und Filmzitaten schon fast eine Hommage an das Leinwandpaar Shah Rukh und Kajol, trägt wohl nicht von ungefähr diesen Titel. Wie in DDLJ treffen sich die Protagonisten zuerst im Ausland, hier Bulgarien, wobei ihre Liebesgeschichte durch die Umstände von vornherein zum Scheitern verurteilt ist. Dabei denkt man anfangs noch, was soll hier verkehrt laufen, die Chemie stimmt, die Stimmung ist locker und die Kulisse wie geschaffen für Romantik. Doch unterminiert von Mißverständnissen, Hinterhalt, Verrat und eine durch Gewalt geprägte Kindheit und Jugend steuern sie auf eine Katastrophe zu, die in einem Blutbad gipfelt. Durch Zufall kreuzen sich ihre Wege nach 15 Jahren in Goa wieder, wo sich zeigt, daß beide nicht mit ihrer Vergangenheit abgeschlossen haben und ihre Liebe immer noch besteht, gewollt oder nicht. Und nur ein großes Herz kann die Vergangenheit dann auch mal ruhen lassen und neu anfangen.

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Diese Zerrissenheit drückt für mich der Song Gerua perfekt aus. Eis und Feuer. Rot und Schwarz. Die Kulisse Islands mit ihren harten Kontrasten und klaren Farben unterstreicht diese Liebesbeziehung zwischen Haß und Liebe, Leben und Tod, Glück und Trauer. Eine großartig spielende Kajol an der Seite von Shah Rukh, der routiniert all seine bewährten Gesten einsetzt, dieses Paar spielt mal wieder gekonnt auf den Saiten ihres Publikums und nimmt es mit auf eine Berg und Talfahrt der Gefühle. Kajol durfte in Dilwale erfreulicherweise sehr aktiv an der Handlung teilhaben und ihre Wandlungsfähigkeit zeigen, selbst in den brutalen Szenen steht sie ihren männlichen Kollegen in nichts nach. Es ist vor allem die Entwicklung ihrer Figur Meera, welche die Handlung vorantreibt und die Spannung hochhält. Beim zweiten Sehen, wenn man die Twists kennt, sind ihre Szenen in der ersten Hälfte noch interessanter anzuschauen. Und es ist fast immer Meera, die den aktiven Part übernimmt, während Kaali/Raj seine Liebe trotz allem nicht verleugnen kann und ihr die Entscheidung überläßt.

Shah Rukh hat mir in der älteren Rolle besser gefallen, obwohl auch Kaali seine starken Momente hat. Er sollte halt langsam damit aufhören, seine jüngeren Versionen zu spielen und zu seinen Falten stehen. Und mit Bart sieht er einfach zum anbeißen aus, auch wenn ich Bärte eigentlich nicht so mag. Doch er macht auch in Actionszenen dank Training noch immer eine wahnsinnig gute Figur, tanzt souverän seinen Stil und ist in den emotionalen Szenen einfach unschlagbar. Seine Rollen als Raj und Kaali sind fast als eigenständig anzusehen, man könnte meinen, es wäre eine Doppelrolle, die er hier spielt. Meine Lieblingsszene ist auch nach dem zweiten Angucken die Kopfüberszene im Auto, als Kajol den Dialog übernimmt und Shah Rukh allein mit den Augen spricht und damit die ganze Gefühlspalette rüberbringt. Inklusive blutigemTränchen…

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Varun Dhawan in der Rolle des jüngeren Bruders hat mich sehr beeindruckt, er hat eindeutig Potential. Abgesehen von den nervigen, weinerlichen Szenen mit den jüngeren Protagonisten, ist er überzeugend aus dem Schatten von Shah Rukh getreten und hat sich vor allem in den emotionalen Szenen behauptet. Kriti bleibt etwas blaß, sie hat leider nicht viel zu tun und kommt daher etwas kurz. Die Liebesgeschichte von Veer und Ishita, untermalt von dem lebensfrohen Song Manma Emotion Jaage, kommt allerdings nicht zu kurz. Sie dient als Auslöser und Katalysator für die Liebesgeschichte der älteren Geschwister und wird gekonnt durch Flashbacks aus Raj und Meera’s Vergangenheit aufgebrochen, anstatt diese als Block zu servieren. So bleibt die Handlung im Fluß, ohne sich irgendwo festzufahren. Nichts wird zu sehr in die Länge gezogen, auch nicht die Szenen in diversen Krankenhäusern, die leicht ins Melodramatische hätten abrutschen können.

In Vordergrund stehen wieder einmal die Familienbande, hier zwischen Geschwistern. Da beide Paare ihre Väter verlieren, die Mütter werden nicht thematisiert, warum auch immer, schlüpfen die älteren Geschwister in die Eltern-Rolle und übernehmen die Verantwortung, ihre jüngeren Geschwister aufzuziehen und auch ihre Wahl an Partnern gutzuheißen oder eben nicht. Dies zwingt sie dann auch, ihre eigene Beziehung zu überdenken und aufeinander zuzugehen.

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Dilwale ist auch in den Nebenfiguren gut besetzt, deren Parts die Handlung abrunden, teilweise voranbringen und auch für die nicht immer den europäischen Geschmack treffenden Gags sorgen. Kabir Bedi in seiner Rolle zu sehen, war ein Genuß, auch Boman Irani als verhaltensgestörter Möchtegern-Don war toll überzeichnet. Die beiden Freunde von Kaali/Raj sorgten für die meisten Lacher bei mir, als sie in der Szene im Café die „Geschichte“ von Ramlal und Pogo erzählen. Ob es Johnny Lever als Comic Relief braucht, ist Geschmacksache, kann man mögen, muss man aber nicht.

Abgeschlossen wird Dilwale von dem Song Tukur Tukur, der das Publikum beschwingt aus dem Kino geleitet. Aus einem Film, der zweieinhalb Stunden gut unterhält, wenn man mit den richtigen Erwartungen hineingeht. Und der auch ein zweites Ansehen reizvoll macht, da man als Zuschauer dann die Verwicklungen kennt und die Protagonisten aus einem ganz anderen Blickwinkel betrachtet. Die sparsam eingesetzten Songs waren erstaunlich gut in die Handlung eingepasst und führten diese fort. Einziges Logikloch war für mich der Umstand, warum Raghav plötzlich mit der Wahrheit rausrückte. Gut allerdings für die Beziehung, die sonst immer unter diesem Schatten gestanden hätte. Fazit: Bollywood pur, unbedingt ansehen!

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Viele Kinos sind übrigens wegen ausverkaufter Vorstellungen in die Verlängerung gegangen, einfach mal gucken…

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