Dilwale Dulhania Le Jayenge… oder kurz liebevoll DDLJ schlug 1995 ein wie eine Bombe und hatte völlig unerwartet einen maßgeblichen Einfluss und Prägung auf zweierlei, einmal auf die Karriererichtung von Shah Rukh Khan und auch auf die Hindifilmindustrie an sich. Der Film schaffte es, alle Anforderungen an einen Bollywoodfilm zu erfüllen und alle Schichten und Alterklassen gleichermaßen anzusprechen, und dass nicht nur in Indien, sondern überall auf der Welt, wo sich Inder niedergelassen haben. Denn Moderne und Tradition können hier koexistieren und bekämpfen sich nicht, und der NRI ist nicht länger das Klischee all dessen, was ein wahrer Inder nicht ist. DDLJ brachte das Heimatgefühl zurück. Jeder fand in dem Film eine Figur, mit der er sich identifizieren konnte. Und das wichtigste, hier wurde die Liebe nicht auf Kosten der Familienwerte durchgesetzt. Liebe bedeutete nicht zwangsläufig Rebellion, sie triumphierte zwar am Ende, doch mit Billigung der Familie.

Gibt es wirklich noch was zu dem Inhalt des Films zu erzählen? Ich bin sicher, dass ihn alle gesehen haben, aber der Vollständigkeit halber… (Für Spoiler entschuldige ich mich bei allen, die den Film noch nicht gesehen haben sollten, es lässt sich hier aber einfach nicht vermeiden. Und ich gehe mal optimistischerweise davon aus, das jeder, der hier liest, den Film gesehen hat)

DDLJ war der erste Film, in dem NRI (Auslandsinder) die Hauptrollen spielten, und nicht Inder, die handlungsgemäß oder in Traumsequenzen ins Ausland versetzt wurden. Raj Malhotra (Shah Rukh Khan) und Simran (Kajol) gehören zur zweiten Generation, ihre Väter waren nach London gegangen, um sich eine Existenz aufzubauen. Rajs Vater (Anupam Kher) hat sich an das neue Leben angepasst und es weit gebracht. Er hat ein Imperium aufgebaut. Sein Sohn scheint der typische verwöhnte, leichtsinnige Nichtstuer zu sein, der gerne Party feiert, im College durchfällt, halt im großen und ganzen ein sorgloses Leben genießt. Simrans Vater (Amrish Puri) hingegen hat sich einen kleinen Laden aufgebaut, den Punjab in Herz und Seele jedoch nie verlassen und ist fest in der Tradition verwurzelt. Er regiert beides, seinen kleinen Laden und seine Familie mit strenger Hand, erzieht die beiden Töchter konventionell und duldet kein Eindringen der modernen und damit per se schlechten westlichen Welt. So hat er die älteste Tochter bereits bei ihrer Geburt dem Sohn eines Freundes im Punjab versprochen. Das er tief drinnen jedoch ein weiches Herz hat, beweist sich, als er seiner Tochter überraschend eine einmonatige Europareise mit ihren Freundinnen erlaubt, bevor sie in Indien einen Mann heiratet, den sie nie gesehen hat. Simrans Mutter spielt den Puffer und Vermittler zwischen den Generationen und ist ihren Töchtern mehr Freundin als Mutter. Sie hat ihren Status als Tochter, Schwester und Mutter klaglos hingenommen, inklusive aller Einschränkungen und Opfer und erwartet von Simran das Gleiche. Erst als sie sieht, wie unglücklich und verzweifelt diese ihre Träume zerreist, beginnt sie umzudenken.
Raj hingegen pflegt ein eher lockeres, freundschaftliches Verhältnis zu seinem Vater, ihre Liebe zueinander ist jedoch offensichtlich. Er tritt diese Reise mit seinen beiden Freunden an.

Raj und Simran verkehren gesellschaftsbedingt in völlig unterschiedlichen Kreisen, ihr Zusammentreffen auf dieser Fahrt ist daher so unwahrscheinlich wie unkonventionell. Raj zieht Simran in letzter Sekunde in den sinnbildlichen Zug, der ihrer beider Leben verändern soll. Er tut es noch einmal am Ende des Filmes, wieder buchstäblich in letzter Sekunde, und hier ist es der Aufbruch in ein neues gemeinsames Leben.
Doch dazwischen wollen gut drei Stunden Film ausgefüllt sein und das ist auch sehr gut gelungen. Trotz des Einsatzes üblicher Schemata und Klischees wirkt die Handlung nie altbacken, sondern ganz im Gegenteil durch immer neue überraschende Wendungen und unübliche Aktionen und Reaktionen der Protagonisten frisch und lebhaft.
Obwohl alle Anzeichen darauf hindeuten, das Raj und Simran füreinander bestimmt sind, tun sie während der Reise erst mal alles, um sich gegenseitig das Leben schwer zu machen. Raj spult sein übliches Flirtprogramm ab, beißt allerdings bei Simran das erste Mal bei einem Mädchen auf Granit. Sie hingegen reizt ihn mit ihrem wohlerzogenen und prüden Gehabe immer wieder zu Sticheleien. Durch einen seiner Scherze stranden die beiden allein in der Schweiz und dort erhascht der Zuschauer einen ersten Blick auf den wahren Raj hinter der verwestlichten Fassade des leichtsinnigen Hallodris. Nach einer kalten Nacht, in der Simran zum ersten Mal mit Alkohol in Berührung kam (inklusive einer wunderbaren Traumsequenz in den Schweizer Alpen, versteht sich), findet sie sich in einem Shirt von Raj im Bett wieder und muss denken, sie hätte die Nacht mit ihm verbracht. Undenkbar für eine gute indische Tochter, die jungfräulich in die Ehe geht. Raj treibt es auf die Spitze, als er sie in dem Glauben bestärkt und erst, als sie verzweifelt zusammenbricht, offenbart er sein wahres Gesicht.

Hier muss man berücksichtigen, das Shah Rukh bis dahin mit negativen Rollen berühmt geworden war, in denen er die Heldin stalkte, von Dächern warf und halt generell all das tat, was ein Hindifilmhero eigentlich nicht tun sollte, wenn er nicht seine Karriere auf den Friedhof tragen möchte. Darauf folgten knallharte Actionfilme, in denen er zwar hin und wieder flirten und Frauenhälse beknabbern durfte, doch DDLJ war sein erster echter Liebesfilm und jeder traute ihm nun zu, das er die Hilflosigkeit der Heldin ausnutzen würde. Man nahm ihm seine Rolle als Schwerenöter unbesehen ab und erwartete noch Schlimmeres. Wie ein Kollege nach der Premiere zu ihm sagte, er hätte erwartet, das Raj Simran von der Brücke werfen würde…
Man traute Raj zu, das er trank, flirtete und vielleicht noch einen Schritt weiter ging, ohne Gewissensbisse. (Shah Rukh wollte ja erst Kondome statt Bier bei Simrans Vater kaufen, doch das ging Adi dann doch zu weit) Er war ja ein NRI und deren Bild im bisherigen indischen Film war das des durch üble Einflüsse verdorbenen Cousins im Westen, der all das tat, was ein guter Inder eben nicht tat.
So war es völlig überraschend, als Raj nun fast zornig sagt, Ich bin zwar in London geboren, aber im Herzen bin ich indisch, ich weiß, wie wichtig die Ehre einem indischen Mädchen ist und respektiere diese. Nicht einmal im Traum wäre mir eingefallen, die Situation auszunutzen…
Ab dem Moment schlug der Film schlagartig eine andere Richtung ein und Raj flogen die Herzen aller zu. Plötzlich war er der Held aller pubertierender Mädchenträume, der ideale Sohn und Schwiegersohn. Denn warum sollte nicht beides gehen, so mochte er die Annehmlichkeiten des Westens genießen und äußerlich ihre Moral übernommen haben, doch er achtete und respektierte die indischen Werte.

Den Rest der Reise verbringen die beiden als Freunde, doch bis sich am Bahnhof in London ihre Wege wieder trennen, weiß Raj bereits, das er sich in Simran verliebt hat. Wie er selbst sagte, er würde erst ernst werden, wenn er sich verliebte, sehen wir nun seinen ernsten Blick, wenn er unbeobachtet auf ihr ruht. Sein Liebesgeständnis verpackt er jedoch in einen Scherz, denn er weiß, sie gehört bereits einem anderen. Doch sein Blick, als er ihr sagt, er würde nicht zu ihrer Hochzeit kommen, sagt alles. Und erst da macht es auch bei Simran klick, der blinde Gehorsam, dem nicht einmal Träume erlaubt sind, beginnt zu bröckeln. Doch die Züge ihrer Leben scheinen sich erst einmal in entgegengesetzte Richtungen zu bewegen.
Als Simrans Vater erfährt, das sie auch nur über einen anderen Jungen nachdenkt, wickelt er in London übernacht (!) alles ab und packt seine Familie in einen Flieger nach Indien. Weit weg von den verderblichen Einflüssen und in den Schoss der heilen Familie, damit Simran sein Versprechen hält und er seine Ehre.
Raj nimmt sich zuerst vor, seine Liebe und Simran zu vergessen, doch sein Vater ermutigt ihn mit den Worten, nur der Mutige führt die Braut heim. Simran hinterlässt ihm einen Hilfeschrei in Form einer Kuhglocke und Raj folgt ihr, ganz nach Hindifilmheldenart ohne Adresse oder sonst welche Nichtigkeiten zielsicher in das kleine Dorf ihres Vaters Familie. Und damit geht der Film in die zweite Hälfte über, die Handlung verlagert sich ins Spielfeld der Hindustani Fraktion, Heimspiel für die elterliche Generation und damit klar im Vorteil: die Tradition und es bahnt sich an: eine Opferung der Liebe auf dem Alter des Gehorsams und Respekts gegenüber den Eltern und damit der ganzen Familie.
Hier lernen wir auch Kuljeet kennen, Simrans Zukünftiger. Und wir mögen ihn gar nicht. Er, der reinrassige Hindustani, weist all die Eigenschaften auf, die man eigentlich den NRI zuschrieb. Er trinkt, ist grob und sicher auch nicht mehr unschuldig. Und ganz sicher nicht nach Simrans Geschmack. Nach einem Gespräch mit ihrer Mutter hat sie sich zwar mit ihrem Schicksal abgefunden, doch die Erinnerung an Raj lässt sie nicht in Ruhe und führt sie schließlich hinaus auf ein (was auch sonst, Klischees halt) wunderbar gelbes Senffeld, wo rein zufällig Raj auf sie wartet. Doch als sie ihn bittet, mit ihr zu fliehen, reagiert er wieder mal ganz unerwartet und sagt verständnislos, er sei nicht gekommen, sie zu stehlen. Wenn er sie als seine Braut heimführt, dann nur mit dem Segen der Familie.
Damit hat er auch den Rest der Herzen im Publikum erobert, das halb erwartet hatte, dass sie nun auf und davon laufen. Doch Raj fährt ganz andere Geschütze auf und auf diesen Raj war die Großfamilie nicht eingestellt. Er bearbeitet mit seinem jugendlichen Charme die Männer und Frauen gleichermaßen auf ihren ureigenen Gebieten, sitzt auch schon mal (ein absolutes Novum!) bei den Frauen und hilft ihnen bei der Arbeit, schafft es beim gemeinsamen Taubenfüttern langsam aber sicher, das Wohlwollen von Simrans Vater zu erringen und macht sich ganz allgemein unentbehrlich bei den Hochzeitsvorbereitungen.

Nur Simran macht ihm auch weiterhin das Leben schwer, sie hat einfach Panik, das ihr Vater siegen wird, Rajs lockere Art, hinter der er seine Angst und aufkommende Verzweiflung versteckt, irritiert sie. Sie will ihm ja vertrauen, doch die Drohung der Hochzeit und lieblosen Ehe macht sie ungeduldig. Und der angestaute Frust kann sich nur in Blicken und gestohlenen Küssen Luft machen.
Um das Chaos perfekt zu machen, will Kuljeets Vater seine Tochter mit Raj verheiraten, der als reicher Sohn natürlich eine gute Partie ist und Rajs Vater taucht infolgedessen auf. Da Raj niemanden verletzen will, sitzt er nun zwischen allen Stühlen und als die Hochzeit vorgezogen werden soll und damit sein Zeitplan in sich zusammenfällt, kommt es zum Eklat und Showdown der Generationen. Raj hält noch immer an seinem rechten Weg fest und will nicht mit Simran fliehen, er vertraut darauf, das richtige zu tun und darauf, das auch Simrans Vater das letztendlich verstehen wird. Er überlässt ihm die Entscheidung, so oder so, er hat alles getan, um seine Liebe und Würdigkeit zu beweisen. Und dieser fällt auch die richtige, beeindruckt und überzeugt von Rajs Standfestigkeit und Vertrauen.

Wie schon erwähnt schlug dieses Epos in Indien ein wie eine Bombe und läuft noch immer (inzwischen 750 Wochen) ununterbrochen in einem Mumbaier Kino. Der Film ist einer der größten Blockbuster der Hindifilmgeschichte und schrieb in mehr als einer Hinsicht Geschichte. Viele Klone folgte, doch keiner davon war je wieder so erfolgreich. Der Film kam einfach zu rechten Zeit und hatte die richtigen Gesichter. Dafür wurde er mit 10 Filmfare Awards belohnt.
Dieser Film hat einfach alles, Moderne und Tradition, tolle Songs vor ausländischer Kulisse, wahre Liebe, Drama, Komik, Freundschaft und Liebe und Respekt gegenüber den Eltern. Aditya Chopra hat mit seinem Meisterwerk einfach alle und alles angesprochen, auch wenn bei der Verfilmung sicher niemand gedacht hat, dass hier ein Klassiker entsteht.
Die Songs von Jatin-Lalit sind durchweg wunderschön, von Farah Khan wunderbar choreographiert, und passend im Film eingesetzt, ich könnte gar nicht sagen, welcher mir am besten gefällt. Sehenswert auch die akrobatischen Einlagen des quicklebendigen, lebensprühenden Shah Rukh, der hier mit einer quirligen und sympathischen Kajol einfach das Leinwandpaar schlechthin aus der Taufe hob.
Man sollte aber vor allem bei der Zugfahrt durch Europa die Logik außen vor lassen, da passt es nicht immer, aber wer will schon kleinlich sein. Und so ein paar geografische Sprünge und Züge, die ganz woanders hin gehören, sind auch ganz unterhaltsam.

Der ganze Film besteht inzwischen aus Szenen mit Kultcharakter. Kaum ein Hindifilm, der nicht darauf anspricht. Es wäre müßig, sie alle aufzuzählen, ihr werdet sie alle zur Genüge kennen. Vielleicht um eine erinnerungswürdige Szene zu erwähnen, dann die, in der Shah Rukh Kajol die Kussflecken auf seiner Brust zeigt. Die Lachanfälle der beiden, die eine Menge Filmmaterial kosteten, sind wohl legendär. Einigen Ärger brachte die Szene in der Kirche mit sich, wie sollte es auch anders sein. Und mit der berühmt-berüchtigten, von Shah Rukh inspirierten und inszenierten Prügelszene am Ende habe ich nicht so ein Problem. Es gehört halt dazu und verleiht dem Film am Ende noch das Quäntchen Dramatik und Herzklopfen. Von der blutverschmierten Optik bei Shah Rukh ganz zu schweigen…
Shah Rukh. Er musste damals zu seinem Glück gezwungen werden, denn Liebesfilme waren das letzte, was er drehen wollte. Das überließ er lieber Salman und Aamir. Bis ihm Adi schließlich die Pistole auf die Brust setzte und Tacheles redete. Er musste einfach auch diese Filme machen, um der Superstar des ganzen Landes zu werden. Bisher liebten ihn die Mädchen zwar, aber sie fürchteten ihn auch ein wenig. Er musste zum Inbegriff des Geliebten werden, zum Kumpel aller Jungs, Bruder jedes Mädchens, zum Sohn jeder Mutter und zum Schwiegersohn schlechthin.
Als er es dann tat, war es die Rolle seines Lebens. Buchstäblich. Er spielt sich praktisch mit Leib und Seele selbst, wie er es auch in Interviews zugab, doch das so überzeugend und großartig, dass man ihm das nicht übel nimmt. Im Gegenteil. Und zusammen mit Kajol in ihrer Natürlichkeit und Spontaneität bildet er einfach ein perfektes Gespann. Ihre Szenen sprühen vor Lebendigkeit, die Dialoge sind frisch und niemals aufgesetzt. Wie sie beide sagten, haben sie niemals geprobt, daher gab es viele Improvisationen. Ihre Blicke sprechen Bände, oft bedarf es keiner Worte, beiläufige Berührungen übermitteln die gegenseitige Anziehungskraft. Ob albern, romantisch oder emotional, diesen beiden nimmt man einfach alles ab.

Auch die Nebenrollen sind optimal besetzt. Sei es Amrish Puri mit seinem stechenden Blick, Anupam Kher als jovialen Lebemann oder Farida Jalal, die einfach überzeugend Simrans Mutter spielt.
Karan hat hier allerdings eindeutig bewiesen, dass er hinter die Kamera gehört und das auch selbst sehr schnell eingesehen. Er durfte sich um Shah Rukhs Kostüme und Kajols äußere Erscheinung kümmern und tat das auch ganz souverän. Das Aditya Chopra ihn quasi zwangsverpflichtete, ihm bei diesem Film zu assistieren, hatte mehrere positive Auswirkungen. Zum einen entstand hier die Idee, seinen ersten eigenen Film zu machen, bei dem ihm Shah Rukh und Kajol wiederum unterstützen sollten, und zweitens freundete er sich mit Shah Rukh und, bei den Aussendrehs, dessen Ehefrau Gauri an.
Keine Rezession dieses Klassikers dürfte ihm gerecht werden, ich empfehle jedem, der mehr wissen möchte, auch über die Hintergründe, wie der Filmtitel und der Film selbst entstand und was er auslöste, das Making of DDLJ zu lesen. Ich könnte hier noch seitenweise über den Film schreiben… nur eines noch… dieser Film ist eine zeitlose Liebesgeschichte, die noch heute nichts von ihrer Aktualität und Attraktion eingebüßt hat… und der noch immer läuft… in einem kleinen Mumbaier Kino und auf heimischen Bildschirmen…