Die Geschichte kommt uns bekannt vor und könnte sich so oder ähnlich überall abspielen. Ein kleiner Junge wächst mit seinem Idol auf, isst, schläft und atmet mit seinem Bild vor Augen. Er entwickelt beim Heranwachsen kein eigenes Leben oder eine eigenständige Persönlichkeit, sondern richtet sein ganzes Dasein nach seinem Star aus. Jubelt mit ihm, trauert mit ihm, wird sogar aggressiv, wenn andere etwas gegen sein Idol sagen. Weder Eltern noch eine Freundin kommen dagegen an. Was harmlos begann, entwickelt sich im Laufe der Jahre zu einer Obsession.

Dies ist die Geschichte von Gaurav Chandna, einem Jungen aus Delhi und seinem Idol, dem Schauspieler Aryan Khanna, der auch aus Delhi stammt und nun in Mumbai lebt und arbeitet. Er tapeziert sein Zimmer mit Plakaten des Schauspielers, geht in jeden seiner Filme und da er zufälligerweise dem Schauspieler auch noch entfernt ähnlich sieht, tritt er bei Talentshows als sein Double auf. Als er dabei den ersten Preis gewinnt, möchte er das Preisgeld nehmen und nun endlich nach Mumbai reisen, um seinen Star höchstpersönlich zu dessen Geburtstag zu gratulieren. Er geht sogar so weit, alles so zu machen, wie dieser es bei seinem Aufbruch ins Filmbusiness getan hat, nimmt den entsprechenden Zug, natürlich wie Aryan damals als blinder Passagier, wohnt im selben Hotel usw.

Doch dann wird er mit der Wirklichkeit konfrontiert. Menschenmassen vor dem Haus des Stars, Wachleute, Polizisten, die ihn abschirmen und ein Star, der sich solchen Massen nur kurz aus der Deckung seines Anwesens zeigen kann. Auch wenn er wollte, wie sollte er mit solchen Menschenmengen umgehen, ohne einen für alle Beteiligten lebensgefährlichen Aufruhr zu verursachen?

Seinen ersten Illusionen beraubt, schmiedet Gaurav einen fragwürdigen Plan, um die Aufmerksamkeit von Aryan zu erregen und ihn zu treffen. Schließlich ist er sein größter Fan, widmet ihm sein Leben und sieht ihm auch noch ähnlich. So was muss doch honoriert werden, oder? Doch er geht dabei den falschen Weg und verletzt einen anderen Schauspieler, einen Rivalen seines Idols. Auch wenn dieser es verdient haben mag, ist dies moralisch verwerflich und Aryan schaltet die Polizei ein, als er davon erfährt. Allerdings vertraulich, um dem Jungen nur einen Denkzettel zu verpassen und die ganze Sache nicht unnötig aufzubauschen. Doch er ist nicht willens, einem x-beliebigen Fan erzwungenermaßen seine Zeit zu schenken, außer um ihm ins Gewissen zu reden, mit der Hoffnung, ihn so auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen und in sein eigenes Leben zurückzuschicken.

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Das Problem ist nur, das Gaurav kein eigenes Leben hat. In seinen Augen hat Aryan seine Liebe missbraucht und verraten, als er die Polizei hinzuzog und in der Einsamkeit seiner Gefängniszelle wandelt sich seine schmählich zurückgewiesene Verehrung und Hingabe in etwas Dunkleres, Gefährliches. Nun richtet Gaurav seine Pläne darauf aus, seinen Namen mit dem Namen seines Stars zu verbinden, indem er ihn mithilfe ihrer Ähnlichkeit diskreditiert und sogar in sein Leben, seine Privatsphäre, sein Haus eindringt. Und damit geht er eindeutig zu weit. Nun bekommt er, der bisher nur das öffentliche Gesicht des Stars gesehen hatte, das wahre Gesicht von Aryan, dem Jungen aus den Straßen Delhis, zu sehen…

Wo liegt die Grenze zwischen ‚normaler‘ Heldenverehrung und begrüßenswerter Inspirationssuche, und krankhafter Obsession und aggressivem Stalking? Die Grenzlinie ist dünn, der Übergang schleichend, für Familie und Außenstehende oft zu spät erkennbar, doch die Auswirkungen können gefährlich sein, für alle Beteiligten. Gerade für leicht beeinflussbare Kinder, die keine anderen Interessen haben, ist eine solche Fixierung bedenklich.

Shah Rukh Khan in and as Fan – der Titel ist hier Programm. Mit diesem Film kehrte wie gehofft Shah Rukh Khan, der Schauspieler, auf die Leinwand zurück und mit was für einer gelungenen (doppelten) Performance. Mit der Rolle des Gaurav greift er wieder auf Ressourcen zurück, die ihm in den neunziger Jahren den Filmfare Award als Best Villain einbrachten, verfeinert diese und bringt sie zur Vollendung. Hut ab vor dem Regisseur Maneesh Sharma, der diese Quelle erfolgreich angezapft und ein gelungenes Drehbuch sehenswert umgesetzt hat. Denn ungeachtet der technischen Bearbeitung und Make-up, die dabei halfen, den Schauspieler glaubwürdig in sein jüngeres Ich zu verwandeln, war es vor allem Shah Rukhs Spiel, welches die Rolle beängstigend glaubhaft machte. Hab ich beim ersten Anschauen noch nach Ähnlichkeiten mit SRK gesucht, trat beim zweiten Mal Gaurav in den Mittelpunkt und beherrschte die Szene. Der Film steht und fällt mit SRK, alle anderen Rollen sind schmückendes Beiwerk, einige davon aus dem echten Umfeld von SRK, aber nicht tiefer ausgebaut. Allerdings hat mir der englische Polizist sehr gut gefallen, very british und so gar nicht beeindruckt von dem Star…

Mein Tipp, schaut euch den Film mit jemand an, dem Bollywood und SRK fremd sind und verratet ihm nicht, dass beide Rollen von demselben Schauspieler gespielt werden…

So überzeugend, wie Shah Rukh Gauravs Euphorie und Begeisterungsfähigkeit, später Enttäuschung und verbissene Entschlossenheit bis hin zur langsam an die Oberfläche kommenden Gewaltbereitschaft spielt, so beeindruckend ist auch seine Darstellung als der verfolgte Superstar. Die Ähnlichkeit zu SRK, dem Superstar, ist sicher gewollt und man fragt sich, inwieweit das Thema dieses Films auch sein Leben tangiert. Aryans Verletzlichkeit aufgrund seines Lebens im Fokus der Öffentlichkeit, seine Sorge um seine Familie und eine gewisse Unnahbarkeit in seinem Streben, sich irgendwie ein Privatleben zu erhalten, dürften auch auf SRK zutreffen. Diese Wut und kalte Entschlossenheit, als er sieht, wie in seine abgesicherte Welt eingebrochen wird, seine Ehre, sein Lebenswerk auf dem Spiel stehen, das Leben von Frau und Kindern. Sicher ist ein Star nichts ohne seine Fans, doch inwieweit gehört er seinen Fans? Wie weit darf Fantum gehen, bis hin zu der Ansicht, ein Anrecht auf den Star und sein Leben zu haben? Auch ein Star mit den besten Absichten seinen Fans gegenüber ist irgendwann erschöpft, aufgrund eines übervollen Terminplans, anstrengenden Drehs und Menschen, die ständig an ihm zerren. Und dann kommt der Punkt, wo er nicht auf einen einzelnen Menschen zugehen und ihm fünf Minuten seiner Zeit schenken kann. Allerdings kann für diesen dann eine Welt zusammenbrechen…

Es ist schwierig, bei diesem Film eindeutig Position zu beziehen. Beide Figuren sind trotz allem Menschen mit ihren Stärken und Schwächen. Gaurav ist anfangs liebenswert in seiner Hingabe, Aryan teils furchteinflößend in seiner Unnachgiebigkeit. Doch es ist sind die Szenen im Gefängnis, die Augen von Gaurav, die mich zum Weinen brachten. Ich habe nicht gewusst, dass man es hören kann, wenn ein Herz bricht. Hier war der Scheidepunkt zwischen Happy End und, leider, Realität. Ich hatte in der zweiten Hälfte, als Aryan auf Gauravs Freundin trifft, schon Befürchtungen, dass YRF doch noch in den Kitsch abrutscht, doch sie haben das Thema kompromisslos durchgezogen, so weh es auch tat. Es ist eine tiefgreifende Charakterstudio, in der beide Figuren sich gegenseitig den Spiegel vorhalten und in eine Spirale von Aktion und Reaktion treiben, die aufgrund der Unbelehrbarkeit von Gaurav in einem Showdown endet, der den Zuschauer völlig ausgelaugt in den Kinosessel sinken lässt. Trotzdem dürfen wir als Ausgleich auch hin und wieder einen verschwitzten SRK genießen, in ansprechender Verpackung oder dekorativ hingegossen auf einer Zellenpritsche…

Das Song und Tanzeinlagen bis auf handlungsrelevante Szenen im Großen und Ganzen fehlen, fällt eigentlich kaum auf und sie wären wohl auch unpassend. Dafür ist die Hintergrundmusik von Vishal-Shekhar so unauffällig und der Handlung angepasst, dass sie diese unterstützt und zum Ende hin die Spannung wirksam steigert. Sehr schön fand ich die Verwendung von Archivmaterial aus Filmen, Shows, Dokus und Interviews, wo ich vieles wiedererkannte sowie die eine oder andere Requisite aus dem persönlichen Fundus von Shah Rukh in Aryans Haus, die das Ganze abrundete. Die Verfolgungsjagden und Prügelszenen in Dubrovnik und Delhi sind sehr gelungen, es tat teilweise richtig weh zuzugucken, so echt sah es aus. Da war nichts stylisch oder übertrieben, da spürte man jeden Schlag und jeden Aufprall in den eigenen Knochen.

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Ich glaube, mir ging (wie sicher vielen unter euch) diese Geschichte so nah, weil auch ich anfangs Gefahr lief, mich in meinem Fantum für Shah Rukh Khan zu verlieren. Er erwischte mich einfach in einer Phase, in der ich verletzlich und anfällig war. Eine Zeit lang bestand jeder wache Moment nur aus ihm, seinen Filmen, Bildern, Berichten. Ich ließ mich völlig vereinnahmen, merkte aber irgendwann, wie krank das war und welche Gefahr bestand und zog für einige Monate die Reißleine. Erst, als ich mir zutraute, das Ganze gefestigter angehen zu können, beschäftigte ich mich wieder mit ihm und begann mit der Arbeit an dieser Webseite. Doch diese Erfahrung, so beängstigend wie sie war, möchte ich eigentlich nicht missen, manchmal vermisse ich die brennende Leidenschaft. Und es hilft mir, nicht bei anderen in dieselbe Falle zu tappen.