Ihr habt Gaja Gamini nicht verstanden? Macht euch keine Sorgen, ich weiß bis heute nicht, ob ich ihn verstanden habe. Auch nach mehrmaligen Anschauen. Der Film ist eine einzige Metapher und absolutes Arthousekino, bei dem sich die meisten bis zum Ende verzweifelt fragen dürften, Um was geht es eigentlich? Dann entspannt euch einfach und genießt die Bilder, Musik und Madhuris Tanz. Denn der Film ist ein Ballet aus Farben und Musik, Tanz und Poesie, und stilisierten Bühnenbildern voller Symbolik.

Der Film, der ständig zwischen Realität und Illusion hin und her springt und mehr eine Zeitreise in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft darstellt, dreht sich im Grunde um die Reise einer Frau. Madhuri Dixit ist Gaja Gamini, geboren aus der schwarzen Steinmauer in Pandharpur (ein hinduistischer Pilgerort), die Zeitalter trennt und vereint.

Sie tritt in den unterschiedlichen Wesensformen der Frau in Erscheinung, so zum Beispiel als inspirierende Muse Shajuntal des Künstlers Kalidas (Mohan Agashe), dann wieder ist sie Leonardo De Vinci’s (Naseeruddin Shah) Mona Lisa oder Monika für ein Fotografen (Shah Rukh Khan). Sie ist aber auch die Rebellin Sangeeta, das blinde Mädchen, das die Frauen ihres Dorfes dazu bringt, gegen die Männer aufzubegehren. Wie die Mauer, die nicht für sich alleine steht, ist auch Gaja Gamini eine Metapher, sie trennen nicht, sie vereinen verschiedene Welten und Generationen. Jede Verkörperung Gaja Gaminis, die doch eins ist, stellt einen anderen Blickwinkel auf das Wesen der Frau dar, die in ständigem Austausch stehen. Jeder nimmt sie anders wahr und sieht daher eine andere in ihr. Und bei all dem versucht der Gott der Liebe Kamdev (Inder Kumar), ihr Herz zu erobern.

Der Film beginnt in Schwarzweiß, als Gaja Gamini aus der Mauer steigt und sofort tanzend ihr Bündel aufnimmt, die Bürde jeder Frau. Sie ist die erste halbe Stunde nur von hinten zu sehen. Als der Film bunt wird, explodieren die Farben regelrecht und die Kulissen wechseln mit den Inkarnationen Gaja Gaminis und ihren unterschiedlichen Schicksalen und Bestimmungen.

Gaja Gamini ist ein Film des damals 85 jährigen Malers Maqbool Fida Hussain und so auch eine Orgie von Farben und Musik, gesehen durch das Auge eines Malers. Es ist auch ein Film, der bei seiner Erscheinung das Publikum in zwei Lager spaltete: jene, die aufgrund der Namen Shah Rukh Khan und Madhuri Dixit ins Kino gekommen waren und nun enttäuscht nach Hause gingen, und die Intellektuellen, die das Werk lobend analysierten und zerpflückten. Dabei ist der Film nur eines, des Malers Verbeugung vor der Frau im Allgemeinen und Madhuri Dixit im Besonderen, ein Traum, der die indische Mythologie, Kunst und Realität verwebt. Jeder wird etwas anderes darin sehen und deuten, es liegt allein im Auge des Betrachters.

Der spricht zwar viele gesellschaftskritische Fragen an, hat jedoch keine durchgehende Handlung. So springen die einzelnen Episoden scheinbar planlos durcheinander, nur verbunden durch die Songs und Gaja Gamini. Man merkt einfach, dass es der Film eines Malers ist, oder vielmehr ein bewegtes Gemälde, er spricht das Auge an, doch kann wohl niemand all die Symbole einordnen. Der Zuschauer muss sich schon voll konzentrieren, um der Handlung überhaupt folgen zu können. Hussain malt den Film, und mit was für Farben. Der ganze Film spielt im Studio, alles wirkt gewollt künstlich mit genau abgestimmten Farben. Untermalt von einer wunderbaren Musik und begleitet von einer tanzenden Madhuri. Und sie tanzt wieder einmal umwerfend, allein das macht den Film schon zu einem Kunstwerk. Sie kann es einfach, all diese scheinbar mühelosen kleinen Gesten und Bewegungen der Hände und Füsse, die einem Eingeweihten sicher ganze Geschichten erzählen. Sie schlüpft scheinbar mühelos in die verschiedenen Frauenfiguren und wird von Hussain großartig in Szene gesetzt.

Höhepunkt der Handlung ist dann das Zusammentreffen der Millennien an der Mauer. Auf der einen Seite die Vergangenheit, auf der anderen die Zukunft. Hier treffen sich die Figuren am Vorabend der Jahrtausendwende, es wird ein Fazit aus der Vergangenheit gezogen und in die Zukunft übergeleitet, als Gaja Gamini in all ihren Erscheinungsformen durch das Tor ins nächste Millennium schreitet.

An dieser Mauer wurde auch das wunderschöne, aber gar nicht geplante Lied Do Sadiyon Ke Sangam Par mit Madhuri und Shah Rukh in Szene gesetzt. Die Idee zu diesem Song kam Husain angeblich mitten in der Nacht, er eilte unverzüglich zu Javed Aktar, um einen Text dazu zu verfassen und überredete Bhupen Hazarika, das Lied zu vertonen. Bereits mittags war das Lied mit Kavita und Udit eingespielt und wurde nachmittags durch den Choreographen mit Madhuri und Shah Rukh verfilmt.
Die Lieder sind bereits ein Kunstwerk für sich. Beginnend mit Yeh Gathari Taaj Ki Tarah, der ersten Version, bei dem Madhuri noch als Frau ohne Antlitz zu sehen ist, also nur von hinten, und dazu in schwarzweiß. Dann folgt Gaja Gamini, hier tanzt Madhuri noch immer als Frau ohne Antlitz, aber sehr traditionell und jetzt auch in Farbe. Meri Paayal Bole ist eine ganz spezielle Tanznummer mit Madhuri in den Dschungeln von Kerala. Hamara Hansa Gaya Videsh ist ohne Madhuri, aber trotzdem sehr beeindruckend. Es folgt die zweite, moderne Version von Yeh Gathari Taaj Ki Tarah, in der die Frau ohne Antlitz zurückkehrt und den Abschluss bildet wie gesagt Do Sadiyon Ke Sangam mit Madhuri und Shahrukh als sehr gefühlvolle Tanznummer. Die kleine, aber feine Szene mit den beiden ist wunderschön, kurz, aber auf den Punkt gebracht.
Es gibt noch ein paar Instrumentals, in denen getanzt wird. Raas Leela at Benares Ghat, mit einer verfünffachten Madhuri als Frau ohne Antlitz, der Liebessong von Kamdev und Leonardo da Vinci, mit einer ekstatisch tanzenden Madhuri ganz in weiß und der berührende Protestmarsch der blinden Sangeeta und ihren vier Freundinnen.
Shah Rukh spielt sich mit seiner überbordenden Lebendigkeit in dem Film eigentlich selbst, seine Szenen mit Madhuri bringen Leben in die Szenerie. Es ist wunderbar anzuschauen, wie er mit ihr flirtet. Wenn man den ganzen Film einfach als Kunstwerk betrachtet, keine Problem mit Metaphern hat, es liebt, Madhuri tanzen zu sehen und sich auf ein paar schöne filmische Momente mit Shah Rukh freut, sollte man sich diesen Film ruhig mal anschauen.

Filmfare September 1999: