Guddu. Ich mag den Film irgendwie. Keine Ahnung warum. Lacht nicht, ist halt so. Vielleicht wegen Shah Rukh. Nein, ganz sicher wegen Shah Rukh. Es fällt mir kein anderer Grund ein. Denn Shah Rukh ist gut, der Film ist es nicht unbedingt. Die Handlung des Films ist eigentlich total indiskutabel, birgt aber eine gewisse Unschuld in sich, die anrührt.
Kurz zur Geschichte. Shah Rukh (im Alter von 29!!!) spielt den Collegestudenten Guddu, den Sohn des nüchternen Anwalts Vikram (Mukesh Khanna) und dessen tiefgläubiger Frau Kavita (Deepti Naval). Der pragmatische Anwalt ist zwar nicht angetan von der religiösen Inbrunst seiner hinduistischen Frau, toleriert es aber meistens mit gutmütigem Spott. Außer wenn es um seinen geliebten Sohn geht, da versteht er keinen Spaß. Guddu versucht, es beiden Eltern recht zu machen und schafft es dank seiner charmanten und unbeschwerten Art meistens. Kavita hat ein besonders ängstliches Auge auf ihren Sohn, da ein Priester ihm zu seiner Geburt ein vorzeitiges Ende weissagte.

Davon ist bei Guddu allerdings nichts zu spüren. Der als Einzelkind verwöhnte Junge steckt voller Energie und Lebensfreude, ist der Star seines Colleges, eine Sportskanone und äußerst gefragt bei seinen weiblichen Bewunderern. Als die hübsche Selina (Manisha Koirala) ihm nicht wie alle anderen umgehend anbetend zu Füßen sinkt, erwacht sein Interesse und er verguckt sich in sie. Er ist so vernarrt, das er sogar den Familienurlaub dahingehend manipuliert, dass er ihn in Selinas Gesellschaft verbringen kann. Nach den üblichen Kabbeleien erwidert sie seine Gefühle und selbst seine Eltern beginnen sie nach anfänglichen Ressentiments zu mögen. Guddus Leben scheint perfekt und er schwebt auf Wolke sieben, nicht nur im übertragenen Sinne, sondern auch buchstäblich. Doch das findet ein jähes Ende, als ihn während einer Autofahrt mit Selina eine heftige Kopfschmerzattacke heimsucht.

Das ist nicht die erste, doch wurde der erste Anfall nicht ernst genommen. Diese nun endet in einem Unfall, bei dem beide verletzt werden, Selina so schwer, das sie erblindet. Bei der nachfolgenden Untersuchung wird ein Tumor in Guddus Kopf diagnostiziert. Er erfährt, dass er nur noch ein paar Monate zu leben hat. Dies und die Tatsache, die Blindheit seiner Liebe verursacht zu haben, wirft den zuvor so lebendigen jungen Mann in eine tiefe Depression. Erst als der Arzt erklärt, eine, hust, Augentransplantation könne sie wieder sehen lassen, schöpft er neue Kraft aus seinem Wunsch, das Selina nach seinem Tod seine Augen bekommt und will das in einem Testament festlegen. Sein Vater ist der Meinung, dass der Junge sich damit aufgibt, um seine Schuld wieder gut zu machen, anstatt um sein Leben zu kämpfen. Und da dieser nach indischem Recht noch minderjährig ist und damit kein Testament aufsetzen kann, landet die ganze Sache vor Gericht. Es folgt eine berühmt-berüchtigte gefühlsbetonte und tränenreiche Gerichtsszene. Zwischen den beiden steht die Mutter, die der Ansicht ist, nur Gebete können das Leben ihres Sohnes retten. Ein Kampf auf allen Ebenen entbrennt…

Dieser Film ist der einzige von Prem Lalwani und gehört zu Shah Rukhs, sagen wir es nett, erfolglosesten Filmen. Auf die durchaus berechtigte Frage an Shah Rukh, warum in Gottes Namen er diesen Film angenommen habe, antwortete er (Zitat aus Still Reading Khan):

Zuerst wollte ich Guddu nicht machen. Der Produzent, Prem Lalwani, hatte eine Geschichte über eine zwölfjährigen Jungen geschrieben. Aber er sagte zu mir: „Ich sehe dich als Guddu, und würde dir gern die Geschichte erzählen.“ Ich sagte: „Ich weiß, das ich gut bin, aber einen Zwölfjährigen zu spielen, dazu reicht meine Phantasie nicht aus.“ Daraufhin meinte er, er könne auch einen Collegestudenten aus ihm machen. Während er die Geschichte erzählte, fing er an zu weinen. Diesen fast zwei Meter großen, reichen indischen Geschäftsmann aus Übersee weinen zu sehen, war etwas, womit ich nicht umgehen konnte. Dann sagte er: „Das ist meinem Sohn passiert. Mein Sohn hatte sehr moderne Ansichten, und er hat nicht daran geglaubt, dass man eine tödliche Krankheit mit dem Glauben an Gott heilen kann. Ich tat es, und nun ist er geheilt.“
Ich hätte den Film nicht gemacht, hätte ich nur das Drehbuch gelesen. Aber als ich diesen Mann und seinen Glauben sah, nahm ich die Rolle an. Ich kann mir gut vorstellen, was er durchgemacht hat, weil ich ganz ähnliches auch mit meinen Eltern erlebt habe.

Es war also eine reine Bauchentscheidung, wie so häufig bei Shah Rukh.
Über die Unrealistik der ganzen Sache mit der Augentransplantation hüllen wir mal gnädigerweise den Mantel des Schweigens. Heute dürfte wahrscheinlich nicht mal eine astronomische Gage Shah Rukh verleiten, diese Worte über die Lippen zu bekommen. Er brauchte damals schon mehrere Anläufe, da er jedes Mal einen Lachanfall hatte. So sagte er in der Filmfare November 2008 selbst:

Der eigenartigste Dialog, den ich je in einem Film zu sagen hatte:
In Guddu musste ich sagen, „Doctor uncle, yeh Eye transplant kya hota hai?“ Ich brauchte 40 Anläufe und brach bei jedem vor Lachen zusammen. Ich denke nicht, dass es ein alberner Satz ist, aber ich fand es albern, einen der schwierigsten Sätze, den ich je zu sagen hatte.

Doch wie auch immer, Shah Rukhs Leistung in dem Film ist noch das Beste daran, man hat allerdings das Gefühl, das ihm diese Rolle nicht allzu schwer gefallen sein dürfte. Im Grunde hat er sich hier selbst gespielt. Sein jugendlicher Charme und überbordende lebendige Energie machen die erste Hälfte zumindest für seine Fans unterhaltsam. Er zeigt seine ganze Gefühlspalette, in der ersten Hälfte von himmelhoch jauchzend bis zu Tode betrübt in der zweiten. Sein Selbstgespräch sowie sein Auftritt vor Gericht sind beeindruckend. Ich habe allerdings jedes Mal ein mulmiges Gefühl, wenn Shah Rukh wie hier mit dem Thema Krebs kokettiert. Vielleicht ist das aber auch seine Art, mit den Todesursachen seiner Eltern umzugehen.

Manisha Koirala hab ich nach Dil Se erst gar nicht erkannt in diesem Film. Das lag nicht nur an den furchtbaren Klamotten, dieser Film gehört ganz einfach in andere Liga. Sie spielt jedoch locker und hält mühelos Schritt mit ihrem quirligen Partner. Besonders der Song in der Kamasutra-Höhle ist hier erwähnenswert, Shah Rukh flirtet schon sehr professionell und reißt Manisha in dieser sexy Fantasie der wunderbar unschuldigen ersten Liebe mit. Die beiden spielen einfach großartig zusammen, ich frage mich, warum diese beiden Filme ihre einzigen gemeinsamen Projekte waren.

Überhaupt sind die Songs recht eingängig und unterhaltsam, bis auf eine Ausnahme. Der Song in den Lüften ist einfach nur peinlich. Sehr an die Nieren geht allerdings das Lied, als Selina begreift, das mit Guddu etwas nicht stimmt. Shah Rukhs Mimik und Körpersprache tun weh.
Danach geht es jedoch leider abwärts mit dem Film. Er erstickt in religiöser Melodramatik und rührseligem Schmalz. Leider. Was gut angelegt war, wird vorhersehbar. Dabei war der Ansatz nicht schlecht, das nur gemeinsam durch technischen Fortschritt und den Glauben an Gott (welche Religion auch immer) alle Probleme gelöst werden können, nicht durch eines allein.
Wie gesagt, der Film ist nur sehenswert aufgrund seiner beiden Hauptdarsteller. Der Film mit seiner eigentlich interessanten Handlung krankt an seiner Übermotivation und maßlos übertriebener religiöser Melodramatik.

PS: Was ich mich allerdings immer frage, ist es in Indien wirklich üblich, lebensgroße Fotos der Familienangehörigen in den Wohnungen aufzuhängen? Gut, bei mir hängt Shah Rukh auch derart rum, aber in der eigenen Familie?! Guddu hat übrigens auch ein paar Poster von Michael Jackson in seinem Zimmer hängen, sicher eine Idee von Shah Rukh selbst…