Kaschmir, eine Bombe und ein bärtiger Soldat, der anscheinend lebensmüde ohne Schutzanzug an selbiger hantiert, um sie zu entschärfen. Sicher nicht der übliche Auftakt für einen Liebesfilm aus Bollywood. Eine unsichere Bewegung, eine falsche Entscheidung, und der Film wäre bereits zu Ende, ehe er richtig begann. Aber nein, auch diesmal schlägt Samar (Shah Rukh Khan) dem Tod ein Schnippchen und nach dem Titelsong, der uns eine Ahnung dahingehend vermittelt, dass eine Geschichte hinter dem ‚Mann, der nicht sterben kann’ steckt, betritt die nächste Bombe die Bühne seines Lebens, Auftritt Akira (Anushka Sharma). Lässig unter einer Brücke hängend die x-te Bombe entschärfend, erobert der bisher zurückhaltende Soldat, der sich aus dem Leben zurückgezogen zu haben schien, ganz nebenbei das Herz des lebenslustigen Mädels, dass das Leben als großartiges Spiel und die ganze Welt als ihre Spielwiese betrachtet. Ihre Ambition, als Dokumentarfilmerin zu arbeiten, führte sie nach Kaschmir. Dank ihrer Vorliebe für riskante Mutproben fällt ihr sein Tagebuch in die Hand und ganz plötzlich liest sich das junge Mädel, das ihre bisherigen Beziehungen nach spätestens drei Monaten beendete, in eine außergewöhnliche Liebesgeschichte ein, die vor zehn Jahren in London ihren Anfang nahm.

Samar war damals von seiner Mutter nach London geschickt worden, um seinen Weg zu machen. Als aufgeschlossener junger Mann nimmt er jeden Aushilfsjob an, um über die Runden zu kommen, doch seine wahre Liebe ist die Musik, die er auf den Strassen der Stadt auslebt. Sein ansteckendes Lächeln und seine Art, mit Menschen umzugehen, sind einfach liebenswert und öffnen ihm so manche Tür. Und immer wieder läuft ihm ein bestimmtes Mädchen über den Weg, Meera (Katrina Kaif), Tochter eines erfolgreichen Geschäftsmannes (Anupam Kher). Als sie ihn um einen Gefallen bittet, kann er nicht nein sagen.

Als Meera merkt, dass sich zwischen ihnen mehr anbahnt als Freundschaft, zieht sie jedoch die Notbremse, denn sie verlobte sich auf Wunsch ihres Vaters mit einem passenden Engländer. Sie hat eine ganz eigene, kindliche Art, Deals mit Gott einzugehen. Wenn sie sich etwas wünscht, gibt sie dafür etwas anderes auf. So bringt sie auch Samar dazu, mit ihr in die Kirche zu gehen und einen Eid abzulegen, nicht zu weit zu gehen und in ihrer Beziehung eine bestimmte Grenze nicht zu überschreiten. Doch diesmal ist es etwas anderes, nicht die Bitte um Erfüllung eines kindlichen Wunsches, wofür sie Gott etwas verspricht. Und sie ist es auch, die letztlich diese Grenze überschreitet und ihre Liebe zu Samar zulässt. Als Samar in einen Unfall verwickelt wird, betrachtet sie dies als Folge ihres gebrochenen Versprechens und geht einen weiteren verhängnisvollen Deal mit Gott ein, doch diesmal gibt sie als Gegenleistung ihre Liebe auf. Samar sieht keine Chance gegen Meera’s Überzeugung und leistet seinen eigenen Schwur vor Gott! Er geht zurück nach Indien, um einen Beruf zu ergreifen, der ihn täglich mit dem Tod konfrontiert, verbittert legt er sein Leben in die Hände des Gottes, der zwischen ihm und seiner Liebe steht…

Der Film beginnt zu einem Zeitpunkt, wo das Leben des Protagonisten stagniert. Er hat eine Vergangenheit, aber keine Zukunft, er wartet quasi jeden Tag auf den Tod. Er ist nicht mutig, er hat nur keine Angst davor zu sterben. Er benutzt keinen Schutzanzug, wenn es keinen gibt, um sich vor den Verletzungen des Lebens zu schützen, warum dann einen, um sich vor dem Tod zu schützen? Hier kommt die zweite Hauptdarstellerin in Gestalt der quirligen Akira ins Bild, die ihn mit ihrem jugendlichen überschwang zurück ins Leben zieht. Sie fühlt sich angezogen von dem zurückhaltenden Soldaten, der so ganz anders scheint als das Bild, dass sie sich nach der Lektüre seines Tagebuches gemacht hat. Sie bittet ihre Vorgesetzte um die Erlaubnis, eine Reportage über ihn zu machen und begleitet seinen Trupp daraufhin zwei Wochen lang bei deren Einsätzen und ihrem Alltag. In gestohlenen Augenblicken findet sie den jungen Mann wieder, der auf den Straßen Londons Musik machte und das Leben mit offenen Armen begrüßte.

Wäre der Film hier zu Ende, gäbe es – unter Umständen – vielleicht sogar eine Liebesgeschichte zwischen den beiden, Akira war sicher nicht abgeneigt. Doch Samar’s Liebe gehörte immer noch Meera und das Mädel wäre dann doch ein wenig zu jung für ihn gewesen. So bekommt sie aber einen Einblick, wie die Liebe sein kann und was das Leben noch für sie bereithält. Doch es wäre kein Yash Chopra Film aus der Feder von Aditya Chopra gewesen, wenn der Film nicht noch weitere überraschende Wendungen aufweisen würde. So setzen Akiras Handlungen eine Kette von unerwarteten Ereignissen in Gang, die einen unwilligen Samar zurück nach London führen, wo seine Liebe zu Meera eine ganz neue Chance bekommt.

Ich habe selten einen so atmosphärisch dichten Film gesehen wie diesen. Das Hindernis, das hier der Liebe im Wege steht, mag nicht für jeden nachvollziehbar sein, ist aber mal etwas ganz anderes als der im Hindifilm oft bemühte Druck von Seiten der Familie oder der/des Verlobten. Hier ist es die Heldin selbst, die sich aus Gründen, die plausibel sein mögen oder nicht, aus der Liebesgeschichte nimmt. Aus Liebe zu Samar und Angst um den Mann. Der religiöse Ansatz mag in seiner Intensität und den doch beträchtlichen Auswirkungen für viele befremdlich sein, doch man muss nicht fromm sein, um an Gott zu glauben. Es ist sicher nicht ungewöhnlich, als Kind zu beten, lässt du dies geschehen, dann werde ich das machen oder jenes lassen. Hier ist halt das Problem, dass Meera dies auch als Erwachsene durchzieht, vielleicht als Anker in ihrem Leben ohne Mutter, die nach einer arrangierten Hochzeit ihre wahre Liebe trifft und Mann und Tochter verlässt, als diese zwölf ist. Ich hatte ein ungutes Gefühl, als sie auch Samar in ihren Handel mit Gott hineinzieht, weil sie sich ansonsten nicht zutraut, ihm gegenüber standhaft zu bleiben. Er belächelt ein wenig ihre Obsession, aber auch ihm ist unwohl bei der ganzen Sache und er lässt sich nur widerwillig darauf ein. Und doch ist es Meera, die letztendlich den Schwur bricht und ihrerseits die Grenze überschreitet. Ihre Überzeugung, dafür bezahlen zu müssen, findet sich ihrer Meinung nach in dem Unfall wieder, bei dem Samar so schwer verletzt wird, dass sie wieder nur den Ausweg sieht, mit Gott zu verhandeln. Als sie diesmal auf die Knie geht, ist mir ganz anders geworden, denn nun wusste ich, was passieren und welche Konsequenzen dies nach sich ziehen wird. Ich wollte sie am liebsten am Kragen packen und schütteln, was tust du da, Mädel, bete doch einfach um sein Leben und vertrau auf die Liebe Gottes und die Kraft deiner Liebe, aber tu nicht das. Was ist das Leben ohne dich für ihn? Wie Samar am Ende ganz richtig sagt: Bete bitte um nichts, hab einfach Vertrauen (in die Liebe)…

Yash Chopra und die Liebe… Damit könnte man Bände füllen. Mit diesem Film hat der Altmeister ein würdiges Abschiedswerk geschaffen. Yashiji’s tiefes Verständnis für die Menschen und ihre Beziehungen prägt auch hier wieder liebevoll die Handlung. Nach Dil To Pagal Hai und Veer-Zaara wieder ein Film von ihm, wo menschengeschaffene Unterschiede durch die Kraft von Liebe und Freundschaft überwunden werden. Seien es soziale Unterschiede (Samar und Meera), politische (Samar und sein Mitbewohner und bester Freund, der Pakistani Zain) oder traditionelle (Meera und ihr Vater), sie werden mit Toleranz und Liebe aus dem Weg geräumt. Bemerkenswert auch und bezeichnend für diese späteren Werke Chopra’s ist die Tatsache, dass man nie das Gefühl hat, dies hat ein älterer Mann gedreht. Der Film wirkt jugendlich und frisch, niemals angestaubt oder festgefahren. Leider ist dies auch sein letzter Film, da er ganz unerwartet kurz vor dem Filmrelease verstorben ist. So wurde sein obligatorischer Song in der Schweiz, der noch ausstand, nach seinem Tod nicht gedreht, da sich sicher keiner der Beteiligten dazu in der Lage fühlte und es auch nicht dasselbe gewesen wäre. Darum wurde dieser Song zum Abspannsong und dient als Untermalung der schönsten Momente mit Yashji bei den Dreharbeiten.

Shah Rukh Khan als Samar trägt den Film mühelos, ohne seine beiden Heldinnen zu überschatten. Vor allem Katrina Kaif ist eine passende Besetzung der an der Oberfläche leicht unterkühlten NRI, die in der richtigen Umgebung und mit Hilfe von Samar zeigt, welches Feuer in ihr steckt. Sehr überzeugend ihre Darstellung der inneren Zerrissenheit von Meera, als sie Samar das Leben vorspielt, das sie hätten haben können und daran fast zerbricht. In amüsanten, nachdenklichen oder auch emotional aufwühlenden Szenen ist sie eine ebenbürtige Partnerin für den routinierten Schauspieler, der es noch immer schafft, den überschwänglichen und lebensbejahenden Endzwanziger, der alle Herausforderungen mit einem gewinnenden Lächeln angeht, genauso überzeugend zu spielen wie den verbitterten Mann, der nur noch lebt, um täglich den Gott herauszufordern, dem Meera ihr gemeinsames Leben (und ihre Liebe) geopfert hat.
Und dabei schafft er es so ganz nebenbei, mein schon fast verhungertes Fangirlherz wieder anzufüttern. Dabei dachte ich eigentlich, ich wäre über die Sabberphase hinweg. Aber wie soll man auch einem Mann widerstehen, der irgendwie in jeder Erscheinungsform die Frau in uns anspricht, sei es als sympathischer Überlebenstyp in London oder als dreitagebärtiger Soldat in Kaschmir. Wie kann ein Mann in schwarzer Montur – mit offenem Mund schlafend – auf (!) der Bettdecke ausgebreitet, bloß so sexy aussehen? Aber ich höre wohl lieber auf, ehe es peinlich wird. Man sieht einfach, wieviel Spaß ihm dieser Film gemacht hat, er spielt mit vollem Einsatz, ganz Herz und Kopf, und zieht den Zuschauer unweigerlich mit rein in die turbolente Handlung. Für Gänsehautfeeling sorgen die zornigen oder verbitterten Momente, wo man sich fragt, wie sein Gegenüber nur diesem Blick standhalten konnte…

Noch kurz zur vieldiskutierten Chemie zwischen Katrina und Shah Rukh vor der Kamera. Für mich stimmt sie hier einfach, vor allem in den Szenen, wo sie jeweils aufeinander zugehen, um bewusst eine Grenze zu überschreiten, noch mehr davon und die Leinwand wäre in Flammen aufgegangen.
Shah Rukh Khans erster (offizieller, da wohl Maya Memsaab irgendwie unter den Tisch gekehrt wird) Kuss vor der Kamera wurde viel diskutiert und mit gemischten Gefühlen aufgenommen. Er passte allerdings wunderbar in die Szene, die mit jeder Menge emotionaler Spannung aufgebaut wurde und in dieser zarten Lippenberührung gipfelte. Tja, die gelben Senffelder sind erwachsen geworden. Shah Rukh hat dies zwar immer als absolutes Tabu bezeichnet, doch hier musste der Mann für den Schauspieler in sich und den Film über seinen Schatten springen und hat die Situation meiner Meinung nach souverän gemeistert.

Anushka Sharma ist die perfekte Besetzung für Akira, übermütig und lebensbejahend hüpft sie durchs Bild und reißt alle mit, ob Vorgesetzte oder Freunde, selbst die Soldaten im Lager. Auch Samar kann ihr nicht widerstehen und taut auf. Die Figur dient als Katalysator zwischen Samar und Meera, nicht mehr und nicht weniger und dies spielt Anushka wundervoll. Ihre eigene Liebesgeschichte wird jedoch eine andere sein.
Der Film ist selbst bis in die Nebenfiguren charmant besetzt, darunter befinden sich so bekannte Schauspieler wie Rishi Kapoor und Anupam Kher. Doch sie bleiben reine Nebenfiguren, die mit der Handlung nicht allzu viel zu tun haben, da sich der Konflikt nur zwischen den Hauptdarstellern abspielt. Einzige Ausnahme ist Meera‘s Mutter, denn erst die gegenseitige Bewältigung des Trennungstraumas gibt Meera die Kraft, ihren gewählten Lebensweg zu überdenken und auf Samar zuzugehen.

Zum Soundtrack. Ich mochte ihn schon bei den ersten Promos. Eingängige Lieder, tolle Stimmen. Mich stört es weniger, wenn Shah Rukh in jedem Film eine andere Songstimme bekommt, das erhält die Frische. Mein Lieblingslied ist und bleibt Saans, der Song dient als Zeitraffer für die kurze aber intensive Beziehung von Samar und Meera. Challa bekommt erst in der Handlung seinen Ohrwurmcharakter, besonders wenn Samar ihn ohne Orchesterbegleitung in wildromantischer Kaschmirkulisse singt. Heer passt mit seiner Doppeldeutigkeit zur Figur von Meera. Mit Ishq Dance konnte ich vorher nicht wirklich was anfangen, doch im Kontext geht der Song richtig ab und zusammen mit dem leidenschaftlichen Tanz von Shah Rukh und Katrina richtig unter die Haut. Die Beats hämmern bis in die letzte Haarspitze. Jiya Re ist das Lied von Akira, macht gute Laune und zeigt noch mehr beeindruckende Landschaften Kaschmirs. Jab Tak Hai Jaan ist das Titellied und krönt den Abspann.

Für die paar Logiklöcher, die ich entdeckt habe, (es sind einige, aber die waren mir dann zu nichtig) gibt es sicherlich eine einleuchtende Erklärung. Sicher führte eine für den Zuschauer nicht sichtbare Sandbank zu dem Felsen, von dem Akira so dekorativ sprang, um dann in letzter Sekunde von einem unwilligen Samar gerettet zu werden. Der dem halbtoten Mädel natürlich erst seine Jacke anzog, ehe er den nun züchtig bekleideten Busen zwecks Wiederbelebungsmaßnahmen bearbeitete. Sicher lässt man in den heutigen paranoiden Zeiten einen eindeutig nichteuropäischen Mitbürger an eine gerade entdeckte Bombe, um diese zu entschärfen. Filmtechnisch sieht es natürlich cool aus und ist ein elegantes, da nicht allzu abgedroschenes Mittel, um Samar sein Gedächtnis wiederzugeben. Normalerweise hätte er sich mit dem Gesicht auf dem Bahnsteig wiedergefunden, sobald er etwas über den Aufbau der Bombe vor sich hingemurmelt hätte. Aber decken wir einfach milde lächelnd den Mantel dramaturgischer Notwendigkeit darüber, denn mal ehrlich, wer sieht schon so verboten sexy aus, wenn er eine Bombe entschärft. Und das Akira im kurzen Höschen durch ein Militärlager hüpft oder Meera im Chiffon durch den Schnee rennt, nun das gehört einfach zu einer Yash Chopra Romanze, genauso wie die Erkältung, die sich seine Heroinnen in seinen Filmen wahrscheinlich öfters mal zuziehen, dafür gibt es Chai…

Meine ganz persönliche Schrecksekunde hatte ich fast am Filmende… aber dann stand Meera da und ich wusste, nein, so grausam ist Yashji nicht, dass tut er ihr – und uns – nicht an… (Obwohl es in ihrem religiösen Schema gepasst hätte, übersiegt hier doch die Liebe, allerseits)

Jab Tak Hai Jaan ist ein Film fürs große Kino, mit einer tollen Kameraführung von Anil Metha bildgewaltig in Szene gesetzt, sei es die atemberaubende Landschaft Kaschmirs oder die quirlige Lebendigkeit der Großstadt London! Grandios untermalt durch den Soundtrack von AR Rahman, der bis zum letzten Lied in die Handlung passt, statt sie zu übernehmen, geht dieser Film durch Mark und Bein. Ob er auf DVD auch so wirkt, bleibt abzuwarten, dafür gibt es hier den Vorteil einer Stopptaste.

Danke Yashji für diesen wunderbaren Film, der Erste seit langer Zeit, nach dem ich mit einem verzauberten Lächeln und dem dringenden Wunsch, den Film schnellstens noch einmal zu sehen, aus dem Kino getreten bin. Es hat noch Tage gedauert, bis ich wieder Boden unter den Füssen fand und so ganz bin ich im Moment noch nicht wieder in der Realität angekommen. Ein Film, der mir den Glauben daran wiedergegeben hat, dass noch immer Filme gedreht werden, die damals Grund waren, warum ich mich – aus heiterem Himmel – auf eine völlig andere und für mich bis dato nicht existente Filmwelt eingelassen habe…