Main Hoon Na, bei dem Film werde ich nostalgisch, da es mein erster bewusster Kontakt mit dem indischen Kino und Shah Rukh Khan war. Kaum zu glauben, aber ich habe diesen Film, nachdem er glücklicherweise am nächsten Morgen wiederholt wurde und ich ihn aufgenommen hatte, eine Woche lang jeden Abend angeschaut. Hach, das waren noch Zeiten, damals dachte ich doch wirklich noch, der Mann singt selber…
Shah Rukh spielt Major Ram Prasad Sharma, der bei einem Einsatz seinen Vater Brigadier Shekhar Sharma (Naseeruddin Shah) verliert, als dieser seinen General Amar Singh Bakshi (Kabir Bedi) im Kugelhagel deckt. Dessen Projekt und Herzensangelegenheit, das Projekt Milaap (Einheit, ein Gefangenenaustausch zwischen Indien und Pakistan) droht an dem Ex-Major Raghavan Dutta (Suniel Shetty) zu scheitern. Dieser hasst Pakistan seit dem Tod seines Sohnes und bedroht des Generals Tochter Sanjana (Amrita Rao), wenn das Projekt nicht eingestellt wird.

Ram erfährt am Totenbett seines Vaters, das dessen Frau Madhu (Kiron Kher) ihn mit seinem kleinen Halbbruder verlassen hat, als Ram, das Ergebnis eines Seitensprungs, nach dem Tod seiner Mutter als kleiner Junge plötzlich vor seiner Tür stand. Er hat nun zwei Ziele, erstens, die Tochter des Generals zu schützen, damit Projekt Milaap durchgeführt werden kann und zweitens, seine Stiefmutter und seinen Halbbruder zu finden. So wird Ram als Student undercover an ein College geschickt, an dem rein zufälligerweise sowohl Sanjana als auch Laxman (Zayed Khan) studieren.

Widerwillig, aber pflichtbewusst übernimmt Ram die Aufgabe, als älterer Student, der seinen Abschluss nachholen will, unter lauter Collegekids Sanjana zu beschützen und seinen Bruder zu finden. Unterstützung findet er dabei in Gestalt der neuen Lehrerin Miss Chandini (Sushmita Sen), in die er sich natürlich prompt verliebt. Doch auch Raghavan bleibt nicht untätig und so hat Ram bald alle Hände voll zu tun, denn er will noch ein Herz erobern, das seiner Stiefmutter.
Main Hoon Na (2004) war die erste Regiearbeit der Choreographin Farah Khan und wurde von Shah Rukh und Gauri Khan produziert. Sie schaffen es, die unterschiedlichen Genres mit bemerkenswerter Leichtigkeit unter einen Hut zu bringen. Und das Resultat ist sehenswertes Masala in Reinkultur, wie es wohl nur das indische Kino zustande bringt. Dieser Film hat einfach alles, Action, Familiendrama, Liebesgeschichten, Humor, Tragik und eine genau abgestimmte Brise Politik und Pathos. Auch wenn natürlich das Anliegen der Unterhaltung überwiegt, ist neu und lobenswert an dem Film die Tatsache, dass das Indien-Pakistan Problem mal ganz anders aufgegriffen und umgesetzt wird. Hier sind zur Abwechslung nicht Pakistanis die Feinde, sondern Leute aus den eigenen Reihen, Terroristen aus dem eigenen Land. Jeder Vorstoß der Versöhnung ist begrüßenswert und hier geht der Film deutlich über das Übliche hinaus. Rams Beispiel und Handlungen bringen so auch den Adjutanten von Raghavan zum Nachdenken und letztlich dazu, das Richtige zu tun.

Ich fange mal mit dem an, was mir an dieser Geschichte immer wieder sauer aufstößt. In Kal Ho Naa Ho bekommt das Kind nicht die Sünde seines Vaters aufgedrückt. Im Gegenteil, Jenny nimmt Ghia mit offenen Armen auf und liebt sie als das, was sie ist, ein unschuldiges Kind. In Main Hoon Na hingegen wird dem Produkt der Sünde die ganze Schuld aufgeladen. Nur gut, das Ram das Ganze verdrängt zu haben scheint und erst am Totenbett seines Vaters die Wahrheit erfährt. Auch so scheint er fast an dieser Last zu zerbrechen, er gibt sich die Schuld am Auseinanderbruch der Familie. Wobei nie ganz geklärt wird, ob der Vater überhaupt schon verheiratet war, als er mit Rams Mutter liiert war. Nun tut er alles, um den letzten Wunsch seines Vaters zu erfüllen, dass seine beiden Söhne zusammen seine Asche verstreuen.

Madhu weist über die Jahre hinweg immer wieder die Versöhnungsversuche ihres Mannes zurück, noch dazu wächst Laxman in dieser vergifteten Atmosphäre verletzten Stolzes auf. Er hasst alles, was mit dem Militär zu tun hat, seinen Vater, der ihn seiner Meinung nach wegen des Bruders im Stich gelassen hat und vor allem seinen Halbbruder Ram. Was Ram auch tut, um ihrer beider Herz zu gewinnen, als sie seine wahre Identität erfahren, weisen sie ihn wieder von sich, auch jetzt ist für ihn kein Platz in ihrem Haus. Selbst als Ram um ihre Liebe flehend vor Madhu kniet, bleibt ihr Herz hart. Erst als sie erfährt, dass ihr Mann tot ist und warum Ram zu ihr kam, beginnt sie langsam zu begreifen, was sie mit ihrer Unnachgiebigkeit verloren hat. All diese Jahre, vergeudet und verloren. Der waidwunde Blick von Ram, als sie ihn aus dem Haus weist, tut einfach nur weh und man versteht diese Frau einfach nicht mehr. Der Fatalismus, mit dem sich Ram dann in die Befreiungsaktion stürzt, hat beinah etwas Selbstmörderisches.

Als ich damals (aus Versehen und zu beschäftigt zum Umschalten) den Sender draufhatte, der Main Hoon Na brachte und so nebenbei die einleitenden Actionszenen sah, dachte ich nur, die meinen das jetzt nicht ernst oder? Ich fühlte mich ein wenig wie in Mission Impossible, Lichteffekte, Geballer und ein Rambo mittendrin. Kopfschüttelnd guckte ich weiter. Der haarsträubenden Action folgte eine Collegeparodie mit einem zerstreuten Rektor und spuckendem Lehrer, die mich den Film gar nicht mehr ernst nehmen ließ. Dass er das auch gar nicht wollte, merkte ich erst später. Noch ein bisschen Matrix und ich war nahe dran, doch noch umzuschalten, doch da kam Tumhe Jo Maine mit Shah Rukh und Sush und mein Herz war verloren. Der Virus hatte voll zugeschlagen und mich bis heute nicht verlassen. Wenn ich nur an diesen Song denke, befindet sich meine Zunge in Gefilden, in denen sie anatomisch nix zu suchen hat.

Gut, der Film ist voller Klischees und es wird eine Menge geklaut, aber doch so, das es schon wieder eigenständig ausschaut. Man weiß zwar, das stammt aus anderen Filmen, aber es bekommt einen indischen Touch. So passiert die Verfolgungsjagd mit einer Rikscha!, oder Major Ram schießt mal eben durch den Sari seiner Angebeteten. Es stört einfach nicht.
Man sollte die Finger von Main Hoon Na lassen, wenn man Shah Rukh Khan nicht mag, denn der Film gehört ganz ihm, er ist ihm auf den Leib geschrieben. Egal, ob lustige, traurige, dramatische oder actiongeladene Szenen, er bleibt Shah Rukh und versprüht seinen Charme so gnadenlos, das nicht nur die schöne Lehrerin chancenlos ist. Ich hätte nie gedacht, dass ihm sogar Schlaghosen und Pollunder stehen, in Uniform ist er allerdings stark Kreislaufgefährdend und sollte nur in homöopathischen Mengen genossen werden.

Am ergreifendsten sind allerdings die ernsteren Szenen, in denen vorrangig seine Augen alle Emotionen mitteilen und seine Körperhaltung Bände spricht. Dieser grade Rücken, als er nach der Zurückweisung durch Madhu den Raum verlässt, zeigt wie in Mohabbatein seinen Kampf, aufrecht zu bleiben, obwohl er gerade alles verloren hat. Er meistert einfach alle Szenen mühelos, ohne seine Kollegen allzu sehr zu verdunkeln. Die beiden Jungstars Amrita Rao und Zayed Khan spielen ihre Rollen überzeugend und behaupten sich ganz gut gegen ihre älteren Kollegen. Sushmita Sen ist einfach wunderbar und hat keine Mühe mit Shah Rukh mitzuhalten. Ihre Interaktionen berühren den Zuschauer, seien es die Szenen, in denen Ram ständig zu singen anfängt, wenn er sie sieht, oder als sie ihn verarztet und gerade noch rechtzeitig fürs jugendfreie Kino geschnitten wird. Leider wurde auch die Szene geschnitten, als sie Ram nach dem Rausschmiss tröstet, eine meiner Lieblingsszenen.

Suniel Shetty darf nicht nur schablonenhaft den bösen Jungen spielen, seine Rolle ist weit tiefer als üblich angelegt und darf dem Guten durchaus glaubhaft Paroli bieten. Er bekommt eine Plattform, seine Sichtweise darzulegen, auch wenn sie irrig ist, wird der Figur doch dieser Raum gewährt, um glaubhaft zu sein. Die beiden sind ebenbürtige Gegner, die sich am Ende einen überaus gelungenen und toll choreografierten Showdown liefern, der seinesgleichen sucht.
Zwei Altmeister des indischen Kinos haben gleich am Anfang ihren Auftritt, Kabir Bedi und Naseeruddin Shah. Wunderbar gelungen sind auch die Lehrer des Colleges besetzt, Boman Irani als stets salutierender und Harry Potter lesender Rektor, Satish Shah als spuckender Lehrer, der seine Schüler zu den irrsten Abwehrmaßnahmen animiert und Bindu als ewig strickende Lehrerin mit ihren witzig verkorksten Sprüchen sind einfach liebenswert und zum Schreien komisch. Witzigerweise lassen sich auch zwei echte Schulfreunde von Shah Rukh kurz blicken, sie tauchen in zwei Szenen als Verwaltungsangestellte des Colleges auf. Und auch Mushtaq Shiekh gibt in der Warteschlange vor dem Kino ein kurzes Stelldichein.

Das Ende des Films ist zwar vorhersehbar und damit die Spoilerwarnung unnötig, doch das machen die Schauspieler und der gelungene Endkampf Gut gegen Böse mehr als wett. Temporeich und mit einer überraschenden Kameraführung gewagt inszeniert wirkt das Ganze eher wie ein Tanz der Kontrahenten. Die Spezialeffekte passen wunderbar und ich finde auch gut, dass Farah mit blutigen Effekten geizt, weniger ist öfter mehr.
Durch den Zusammenschnitt mit den berührenden Szenen des Gefangenenaustausches an der Grenze bekommt das Ende einen emotionalen Touch, den man hier nicht erwartet hätte. Man sieht, wofür Ram eigentlich kämpft. Wie viel mehr dahinter steht, als nur sein Kampf mit Raghavan. Der ist eh ein Synonym für den ewigen Kampf Gut gegen Böse, der als Teil der Mythologie in fast jedem indischen Film gegenwärtig ist.
Anu Maliks Soundtrack des Films ist durchgängig gelungen, dazu kommen die frischen Choreografien von Farah, die sie gekonnt umsetzt. Schon allein der temporeiche, innovativ in zwei langen Einstellungen gedrehte Einführungssong von Sanjana und Laxman, Chalse Jaise Hawayein, macht einfach Spaß und vermittelt dem Zuschauer, dieses College und diesen Teil des Films nicht allzu ernst zu nehmen, sondern als die Parodie, die es ist.

Der Titelsong Main Hoon Na ist eine ansprechend umgesetzte Ballade, in der Ram seinen Bruder sucht. Dann folgt mein absolutes Lieblingslied Tumhe Jo Maine Dehka vor sichtlich künstlicher Kulisse, was den Effekt aber nur verstärkte. Shah Rukh und Sush sind wahnsinnig sexy in diesem Lied und Lob an Karan für die Kostümauswahl.
Der Qawwali Tumse Milke Dil Ka Jo Haal ist Amritas Song, ein süßer und unschuldiger Ohrwurm, wieder mit tollen farbenprächtigen Kulissen und einem Küsschen von Shah Rukh für Sush. Gori Gori ist eine Hommage an die Siebziger, etwas gewöhnungsbedürftiger Melodie und Tanzschritte, aber Shah Rukh und Zayed atemberaubend in schwarzer Abendgarderobe, Shah Rukh sogar mit Ohrring! Yeh Fizayen ist der gut gelaunte Abspannsong und wie inzwischen bei Farah üblich, dürfen alle vor die Kamera, die an dem Film mitwirkten. Eine Idee, die ich ganz toll finde.

Main Hoon Na ist wohl der einzige Film, den ich durchgehend in Deutsch angesehen habe, da wusste ich es noch nicht besser. Dass das Fernsehen geschnitten hatte, fiel mir auch erst auf, als ich die DVD hatte. Doch schon bei meinem zweiten Film Dil Se verliebte ich mich sofort bei seinem ersten Dialog in Shah Rukhs Stimme und seitdem schaue ich nur noch auf Deutsch, wenn es gar nicht anders geht. Gerade hier habe ich viele Witze erst beim Schauen der DVD verstanden und gemerkt, wie viel Atmosphäre doch verloren geht. Ich weiß, die deutsche Synchro ist für den Markt wichtig, aber einfach nichts mehr für mich. Interessanterweise wird Raghavan von dem Bruder von Pascal Breuer gesprochen, Jacques Breuer, der auch Aragorn in Herr der Ringe synchronisiert hat. Hier auch mein Bezug zu HdR, ich mag seine Stimme.
Main Hoon Na ist temporeicher Spaß in Reinkultur, mit dramatischen und pathetischen Momenten, die ihn nicht allzu sehr in den Klamauk abrutschen lassen und ein Muss für jeden Shah Rukh Khan Fan. Für mich ist und bleibt er mein erster Kontakt mit Shah Rukh und seiner Welt und hat seinen festen Platz ganz tief in meinem Herzen.