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Quelle
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20 March 2010
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Im letzten Monat, kurz vor der Veröffentlichung des Bollywoodfilms My Name Is Khan, wurde eine Botschaft, generiert in Pakistan auf der Mikro-Blogging Seite Twitter, in Mumbai, Indien massiv retweetet: „Vielleicht sollten sie besser nach Karachi kommen, um MNIKs erste Vorstellung am ersten Tag zu erwischen!“
Die Veröffentlichung von My Name Is Khan, oder MNIK, wie es allgemein bekannt ist, musste in Mumbai, Indiens Filmhauptstadt, wegen einer politischen Kontroverse zurückgenommen werden. Nur wenige Tage vor der Premiere hatte sein Hauptdarsteller, Shah Rukh Khan, den Ausschluss von pakistanischen Kricketspielern aus der Kricketauktion der Indian Premier League beklagt.

Dies verärgerte die Shiv Sena, eine hinduistische ultranationalistische Gruppe, die alle sportlichen und kulturellen Beziehungen mit Pakistan anficht. Sie startete eine Kampagne gegen Khan, drohte, die Veröffentlichung seines Films abzuwürgen, bis er sich entschuldigte und seine Erklärung zurücknahm, was er sich weigerte zu tun. Plakate tragende Demonstranten belagerten seine Villa im vorstädtischen Mumbai, sein Bildnis verbrennend und Slogans wie „Shah Rukh Khan, verschwinde nach Pakistan!“ brüllend. Einer der Demonstranten hielt in seinen Händen die Attrappe eines Flugtickets, auf dem die Worte prangten: „Von Mumbai nach Pakistan.“ Mumbai stationierte Polizisten bei den Kinos und verhaftete vor der Premiere vorbeugend 2.000 Leute.
Derweil feierte MNIK am 13. Februar auf der anderen Seite der Grenze in Karachi vor vollen Häusern Premiere und wurde mit tosendem Beifall und Pfeifen empfangen. Laut pakistanischen Kinoeignern war es der Film mit dem höchsten Gewinn, der jemals in Pakistan gezeigt wurde.
Dieser Film findet sicher wegen seines Themas seinen Nachhall beim pakistanischen Publikum – er erzählt die Geschichte eines autistischen Muslimen, der in den Vereinigten Staaten in den unmittelbaren Nachwehen der Angriffe des 9/11 gegen Vorurteile kämpft. Die in Pakistan groß beklatschte Zeile kommt am Anfang, wenn Khan verkündigt, „Mein Name ist Khan, und ich bin kein Terrorist!“ Aber der breit veröffentlichte Tweet, der die Inder einlud, den Film in Karachi zu sehen, boten einen etwas verdrehten Einblick in ein kulturelles Paradox: Zwei Länder, die sich so viele kulturelle Referenzen teilen, und sie dennoch durch so unterschiedliche Objektive betrachten.
Die Spaltung zwischen Indien und Pakistan ist mit dem Spalt zwischen Ostdeutschland und der Bundesrepublik Deutschland während des Kalten Kriegs verglichen worden, doch gehen die Situationen weit auseinander. Während Deutschlands Teilung nach dem Zweiten Weltkrieg, wenn auch angespannt, größtenteils friedlich war, fand im Anschluss an die Aufteilung des Subkontinents 1947 in separate hinduistische und muslimische Gebiete ein brudermörderisches Blutbad statt. Mehr als eine Million Menschen wurde getötet und 12 Millionen entwurzelt. Flüchtlinge wanderten zu Fuß, mit Karren und Zügen in ihre versprochene neue Heimat, machten es zu einer der größten Massenwanderungen in der Geschichte.
Seit der Teilung haben die beiden Länder Jahrzehnte mit dem Versuch verbracht, Barrieren gegen den grenzüberschreitenden kulturellen Austausch zu errichten. In Pakistan wurden Bollywoodfilme nach 1965 im Anschluss an den blutigen Indo-pakistanischen Krieg verboten. Nachdem 1977 der pakistanische General Muhammad Zia-ul-Haq den Premierminister Zulfikar Ali Bhutto stürzte, leitete er den Prozess einer durchgreifenden Islamisation ein, der den konstruierten Spalt zwischen der indischen und pakistanischen Kultur zementierte. Er etikettierte Unterhaltung, besonders indische Unterhaltung, als fahashi, oder vulgär. Klassische indische Musik und Tanz wurden verboten und Universitäten beauftragt, ihre Musikvereine zu schließen. Er verbot den Sari, ein hinduistisches Kleidungsstück, das ihm zufolge zu viel vom Körper einer Frau enthüllte. Der pakistanische Kolumnist Sarwat Ali hat vermerkt, dass in staatlichen Fernsehprogrammen Frauen, die negative Rollen spielen, in indischer Kleidung gezeigt wurden (vorwiegend Saris), während die guten Salwar Kameez und eine Dupatta tragen, ein schlichteres Outfit, das lose Hosen unter einer Tunika umfasst, mit einem Schal, der das Haar bedeckt.
Natürlich gaben Pakistaner, hauptsächlich in den Städten, niemals ihre Liebe zur indischen Kultur auf: Sie schmuggelten weiterhin Videokassetten von indischen Filmen ins Land und kauften Satellitenschüsseln, um indische Programme zu sehen. In jüngerer Zeit begannen Kabelbetreiber, manchmal indische TV-Shows zu übertragen, die Firmenlogos verbergend, so dass die Shows wie lokale Sendungen aussehen und der Aufmerksamkeit der Behörden aus dem Weg gehen würden. Obwohl pakistanische Kids Bollywoodfilme nicht im Kino sehen konnten, lasen sie dennoch die Urdu Versionen von indischen Klatschmagazinen wie Stardust und richteten sich nach Bollywoodmoden, so weit ihnen erlaubt war.
2003 erblühte ein neuer Friedensprozess, mitsamt kulturellem Kontakt. Neue Zug- und Buslinien wurden zwischen Großstädten geschaffen, was bedeutete, dass die beiden Länder Kontakt herstellen konnten, nicht nur wörtlich (arme Familien, getrennt durch die Aufteilung, zum ersten Mal wiedervereinigt), sondern auch mit gemeinsamen kulturellen Momenten, wie die Reise von Noor Fathima, oder Baby Fathima, einem 2-jährigen pakistanischen Mädchen, geboren mit Herzdefekten, die zur Behandlung mit dem Bus von Lahore in ein Krankenhaus in Bangalore fuhr.
Die Periode sah auch einen Anstieg des Austausches von Schauspielern und Musikern, obwohl einige schief gingen. Nazar, ein Bollywoodfilm von 2005, der als grenzüberschreitende Zusammenarbeit verkauft wurde und in dem der pakistanische Star Meera die Hauptrolle spielte, provozierte Todesdrohungen von pakistanischen Konservativen, als ein Boulevardblatt aus Lahore Fotos von Meera und ihrem Filmpartner veröffentlichte, die sich umarmten.
Der ehemalige pakistanische Präsident Pervez Musharraf hob schließlich im Februar 2008 das 40-jährige Verbot von Bollywoodfilmens auf. Wegen des aktiven und größtenteils unbeeinträchtigten Schmuggels war das Verbot sinnlos geworden – und obwohl die Regierung viel Gewese über die Aufhebung machte, das es sozusagen „religiösen und kulturellen Normen und Werten nicht schaden würde“, war die Motivation eine wirtschaftliche.
Pakistans Filmindustrie war durch die griffbereite Verfügbarkeit von billigen Raubkopien von Bollywoodfilmen ruiniert worden. „Lollywood“, als das die in Lahore beheimatete Industrie bekannt ist, hatte auf die Regierung Einfluss genommen, um das Verbot zu stürzen, so dass Pakistan Indien ermuntern konnte, damit zu beginnen, pakistanische Filme zu importieren, während pakistanische Kinos anfangen konnten, den Lohn der Beliebtheit von Bollywood zu ernten. Aus welchen Motiven auch immer, die pakistanischen Zuschauer begrüßten die indischen Filme mit offenen Armen, selbst wenn die in den Kinos gezeigten zensierten Versionen oft weit weniger interessant waren als die ungekürzte Raubversion, die sie auf DVD oder VHS sehen konnten.
Aber die Terroristenangriffe im November 2008 auf Mumbai stellten die Friedensgespräche auf unbestimmte Zeit ein und entzündeten auch wieder den kulturellen Konflikt, entfachten nationalistische Parteien in Indien und versetzten Pakistan in die Verteidigungsstellung. Bald nach den Angriffen startete die Maharashtra Navnirman Sena (MNS), eine ultranationalistische politische Partei, gegründet 2006 nach der Abspaltung von der Shiv Sena, eine Kampagne, alle kulturellen Verbindungen mit Pakistan zu eliminieren.
Ihre Aktivisten schikanierten Oxford Bookstore, eine angesehene Mumbaier Buchhandlung, bis sie den ganzen Verkauf von Büchern pakistanischer Autoren stoppte. Die MNS vertrieb auch Shakeel Siddiqui, einen pakistanischen Bühnenkomiker, der im letzten Jahr in Mumbai auftrat, ihn eindringlich ermahnend, nie nach Indien zurückzukehren. Die Gruppe forderte „Karachi Sweets“, einen Laden, der indische Süßigkeiten in Mumbai verkauft, auf, die pakistanische Stadt aus ihrem Namen zu eliminieren. Die Eigentümer von Karachi Sweets, die Athwani Familie, die nach der Teilung von Karachi nach Indien übersiedelte, wurden gezwungen, den Namen ihres Ladens in „Sri Krishna Sweets“ zu ändern.
In Pakistan gab es inzwischen das Rumoren eines neuen Bollywoodverbots, obwohl nichts davon jemals aufkam. Und doch war die kulturelle Entspannung, errichtet in den aufregenden Tagen des neuen Millenniums, klar in Stocken geraten, schon vor den Ausbrüchen um Shah Rukh Khans Cricketkommentaren und der Veröffentlichung von My Name Is Khan.
Es ist nicht klar, ob sich die Situation verbessern wird. Die letztmonatigen lauwarmen Sicherheitsgespräche zwischen den indischen und pakistanischen Außenministern, gefolgt von einem Bombenanschlag auf ein Café in der westindischen Stadt Pune, scheinen kaum eine Annäherung aufzubauen. Wenig kultureller Fortschritt kann erfolgen, so lange der Terrorismus als eine ernste  Bedrohung gegen beide Länder bestehen bleibt. Der kulturelle Fortschritt bleibt eine Geisel in der Frage des Terrorismus.
Und ohne kulturelle Vermischung ist es für Chauvinisten leicht, Hysterie aufzupeitschen, jedes Mal, wenn eine Bombe in Indien explodiert und verräterische Zeichen der grenzüberschreitenden Verwicklung hinterlässt. Kontroversen, die als kleinere Kabbeleien beginnen, eskalieren schnell zu gewaltsamen politischen Feuersbrünsten, wie bei dem Fiasko mit My Name Is Khan, und bis sich beide Seiten des militärischen Wettstreits enthalten und sich mit gemeinsamen Verteidigungsmaßnahmen gegen die sehr echten geläufigen Bedrohungen der Taliban und Al Qaeda beschäftigen, wird dieses Schema fortdauern. Wenn eins von beiden Ländern aufhören will, wird es eine viel aufrichtigere Einladung aussprechen müssen, sich mit gemeinsamen Aktionen zu beschäftigen, als einem retweeteten Scherz.