Raju Ban Gaya Gentleman, wer das Hall of Fame und Still Reading Khan kennt, weiß um die besondere Bedeutung, die diesem Film von 1992 beikommt. Shah Rukh, der eigentlich keine Filme machen wollte, machte diesen kurz nach dem Tod seiner Mutter, mit Freunden wie Viveck Vaswani und Regiedebütant Aziz Mirza, der zusammen mit Juhi Chawla später Partner seiner Produktionsfirma Dreamz Unlimited werden sollte. Dieser Film kam zwar nicht als erster heraus, das war Deewana, wurde aber zuerst begonnen. Das Deewana zum Hit wurde, half auch Raju Ban Gaya Gentleman. Von außen gesehen ist der etwas altbacken wirkende Film eigentlich nur etwas für Fans von Shah Rukh Khan, er steht und fällt mit ihm, lebt von seinem begeisternden Schauspiel und der liebenswerten Interaktion mit Juhi Chawla und Nana Patekar. Doch steckt in diesem Film mehr, als oberflächlich betrachtet erkennbar, auch wenn der Plot vorhersehbar erscheint und die soziologische Botschaft des Films arg moralisierend anmutet, was der Charme des Films aber wieder wettmacht. Das Vorurteil des Arm = gut und Reich = böse und am Ende siegt das Gute kommt hier wieder einmal voll zum Einsatz, inklusive einer eher peinlichen, aber von Shah Rukh leidenschaftlich gespielten Gerichtsszene und der damals unvermeidlichen brutalen Schlägerei am Ende.

Shah Rukh spielt hier Raj Mathur, das übliche Klischee der unschuldigen und naiven, aber auch ehrgeizigen Figur, der kurz nach seinem Abschluss als Ingenieur in Darjeeling mit Sternen in den Augen nach Mumbai kommt, um Arbeit zu finden. Der Bekannte, bei dem er unterkommen wollte, ist nicht auffindbar und so sucht er, nach einem ersten reichlich nassen Zusammenstoss mit Renu (Juhi Chawla), Zuflucht in einem Tempel. Dort trifft er auf den Straßenkünstler Jai (Nana Patekar), der ihm erstmal Obdach gewährt und unter die Arme greift.
Raj beginnt, die Stadt nach einem seiner Bildung angemessenen Job abzusuchen, läuft sich aber im Endeffekt nur die Schuhe durch. So einfach, wie er sich das vorgestellt hatte, ist es in dieser riesigen Stadt nicht. Nach etlichen erst bissigen, dann immer neckischeren Kabbeleien mit Renu kann sie ihn überreden, erst einmal einen kleineren Job anzunehmen, solange er nach etwas annehmbareren sucht. Vor irgendetwas muss der Junge ja seinen Chai bezahlen. Dabei verlieben sie sich als angenehmen Nebeneffekt langsam ineinander.
Nach einem von Renu organisierten Bewerbungsgespräch bei der Firma, in der sie arbeitet, kann der gut vorbereitete Raj endlich einen guten Job ergattern. Doch schon bei der ersten Sitzung bringt ihn seine Ehrlichkeit und Direktheit in arge Schwierigkeiten, als er unwissentlich Sapna, der Tochter des Bosses, widerspricht und schon muss er wieder um seinen gerade erst erkämpften Job bangen. Doch gerade diese Eigenschaften beeindrucken die beiden und Raj klettert schon fast zu schnell die Karriereleiter empor, wobei die amourösen Neigungen seiner neuen Chefin eine nicht ganz unwichtige Rolle gespielt haben dürften.

Doch es kommt, wie es kommen muss, mit zunehmenden Erfolg, Reichtum und durch eine einseitige erotische Vernarrtheit seiner Chefin, die an verhängnisvoller Stelle Neid erzeugt, wird die reine Seele des naiven Jungen vom Land korrumpiert und er läuft Gefahr, sich in den Netzen von Verrat und Missgunst zu verstricken und alles zu verlieren, einschließlich seiner großen Liebe Renu. Sein Fehler ist eigentlich nur, dass er den falschen Leuten vertraut hat und diese trotz besseren Wissens deckt. Schlimm ist nur, dass andere dafür zahlen müssen. Sein moralisches Dilemma wird gegen ihn ausgespielt, bis er zähneknirschend seine Freunde verraten muss. Der Kreis schließt sich, als Raj wieder in dem Tempel Rat und Hilfe sucht und Renu ihm ein letztes Mal ins Gewissen redet. Über dem Scherbenhaufen seines Lebens muss Raj sich entscheiden, das Richtige zu tun.
Warum verliebt Frau sich in diesen Film? Ganz einfach, irgendwann in der ersten halben Stunde merkt man, dass man die ganze Zeit verklärt den Bildschirm angeschmachtet hat. Shah ist so süß und knuddelig als Junge von nebenan, das man ihn einfach nur in den Arm nehmen möchte und trösten. Man merkt, das Raju Ban Gaya Gentleman einer seiner ersten Filme ist, aber es ist gerade seine unverkrampfte, ungeschliffene und noch unbeeinflusste Art zu schauspielern, sein Charisma oder Ausstrahlung, oder wie auch immer man es auch nennen möchte, mit der er es schafft, die Zuschauer auf seine Seite zu ziehen, diese kraftvolle und überbordende Energie, die ich an seinen frühen Filmen so mag. Böse Zungen mögen behaupten, dass er damals einfach zu viel sich selbst spielte. Wenn es so sein sollte, auch gut, dann mag ich eben die Art, wie Shah Rukh damals war, bevor Lebenserfahrung, Kontroversen mit Presse und Kollegen, Filmflops und andere Stolpersteine des Lebens ihn vorsichtiger gemacht haben und er eine Maske und einen Knebel verpasst bekam.
Doch Shah Rukh spielt hier einfach überzeugend den Jungen von nebenan, sowohl in den leichteren als auch in den ernsthafteren Parts. Er bildet mit Juhi ein wunderschönes Paar, dem allerdings dieses letzte Bit Erotik fehlt, das er später in der Paarung mit Kajol finden sollte. Doch für diesen Film ist der leicht konservative Einschlag genau richtig, sie harmonieren perfekt und überzeugen sowohl in den Songs als auch in den leidenschaftlichen Szenen (ganz in Schwarz minus ein paar eh überbewerteter und damit wegrationalisierter Knöpfe darf Shah Rukh schon mal üben, am Hals der Heroine zu knabbern). Auch wenn Juhi in dem Film nicht allzu viel zu tun hat, spielt sie sehr überzeugend und natürlich und stellt den ausgleichenden Part. Sie unterstützt Raj, solange sie es mit ihrem Gewissen vereinbaren kann und appelliert sehr bewegend an das seine.

Noch eine kleine, rührende Trivia des Films: Shah Rukh trug den Anzug aus dem Film bei seiner eigenen Hochzeit.
Es ist beeindruckend, wie Shah Rukh im Verlaufe des Films gekonnt den Übergang vom unsicheren Naivling zum abgebrühten Handlanger seines Bosses vollzieht. Aus dem liebenswerten Jungen, der sich mit Renu über kleine Erfolge freut, wird ein frustrierter Befehlsempfänger, der mehr und mehr Mühe hat, mit seinem Gewissen klarzukommen. Shah Rukh darf trinken, sich leidenschaftlich mit seiner Liebsten streiten und zitternd vor Emotionen in herzzerreißenden Szenen mit seinem Gewissen hadern. Als er merkt, was er unabsichtlich angerichtet hat und sich endlich entscheidet, das Richtige zu tun, darf Raj auch mal den Baseballschläger zur Hand nehmen und rabiat werden. Diese leidenschaftliche Wut und Verzweiflung, die in den nächsten Filmen sein Markenzeichen werden sollten, sind hier schon deutlich spürbar und sorgen für reichlich Gänsehaut. Einmal mehr kommt auch Shah Rukhs Aversion gegen alle möglichen Arten von Glas zum Vorschein, als er alles zertrümmert, was seines Weges kommt. Ich frage mich manchmal, ob es in Bollywood eine Foundation zur Rettung von Aquarienfischen gibt, die sich dieser bedauernswerten, ihrer Heimat beraubten Geschöpfe annimmt.
Unbedingt erwähnen sollte man Nana Patekar, der in diesem Film so was ähnliches wie einen Erzähler und guten Geist spielt und zwischendurch sehr unterhaltsam auch dem Begriffsstutzigsten im Publikum erklärt, was Sache ist. Seine kleinen Tricks, die nächsten Schritte der beiden Turteltauben vorherzusagen, sind liebenswert und lockern den Film auf. Mit seiner Redekunst schafft er es sogar, dem abgebrühtesten Schläger das Messer aus der Hand zu quasseln. In Punkto Redegeschwindigkeit steht er Shah Rukh in nichts nach, die beiden dürften sich gut verstanden haben.
Vivek Vaswani taucht in einer kleinen, aber liebenswerten Rolle als Autoverkäufer Lovechand Kukreja auf, er hat damals in etlichen Filmen von Shah Rukh in Nebenrollen mitgewirkt. Der Name Lovechand Kukreja taucht übrigens auch in Kal Ho Naa Ho auf, als erste Liebe der beiden Freundinnen der Oma, keine Ahnung, warum. Beim Googlen hab ich nichts darüber gefunden.
Apropos Schläger, schon in diesem frühen Film bewies Shah Rukh auch Mut zur Hässlichkeit. Während andere Helden auch nach der schlimmsten Prügelei höchstens mal dezent aus dem Mundwinkel bluten, darf Shah Rukh ganz realistisch schwitzen und bluten, stöhnen und Angst zeigen, Frau leidet hier bei jedem Schlag, jeder Verletzung mit. Doch mein armes Herz blutete angesichts der Verzweiflung in Rajs Augen, als ihn eine trauernde Mutter, die gerade ihren Sohn verloren hatte, verflucht. Dass er nicht wirklich Schuld war, das alles aber seinetwegen passiert war, machte seine Frustration so greifbar.

Die übrigen Figuren sind so klischeehaft, das sie unbeeindruckend eindimensional mit dem Hintergrund verschmelzen. Lüsterne Chefin, schmierige Konzernbosse und eifersüchtige Schlägertypen. Aber das macht nichts, da die Konzentration des Zuschauers eh auf Raj und Renu liegt, die den Film trotz schwachem Plot und vorhersehbarem Ende zu einer gelungenen Mischung aus Liebesgeschichte, Drama, Action und Humor machen.
Von der Musik bleibt leider nicht viel im Gedächtnis, daran mag aber auch die relativ schlechte Tonqualität schuld sein (Mal schauen, ob die deutsche DVD eine bessere Qualität hat). Der Einstiegssong, als Raj Darjeeling verlässt ist ganz nett (interessante Trivia hier: als Mirza Shah Rukh auffordert, in dem Song mal eben auf einer Mauer zu tanzen, hatte er keine Ahnung, das dahinter ein metertiefer Abgrund gähnte, aber Shah Rukh machte es einfach), eingängiger ist aber der unbekümmerte Song Sardi Khasi Na Maleria mit Shah Rukh, Nana und Juhi, knapp gefolgt von Aaj Hamari Basti Main, in dem Raj seinen ersten Erfolg feiert und die Welt noch in Ordnung ist. In Na Na Naa Chuna Naa darf sich Shah Rukh, wie schon erwähnt, in Romantik üben und macht das schon ziemlich professionell, er und Juhi geben einfach ein niedliches Paar ab, auch wenn das erotische Knistern ein wenig zu kurz kommt. Der Rest ist kaum erwähnenswert, vor allem der Song mit Sapna und Raj, Tu Mere Saath Saath, ist eher peinlich und bringt meinen bösen Vorspulfinger zum Vorschein. Es geht mir eh gegen den Strich, dass sie Raj anflirtet und damit das ganze Verhängnis ins Rollen bringt. Pfui.
Thaam Thaam Thaam zeigt Szenen aus Rajs neuem, aber nicht unbedingt besserem Leben ohne Renu, mit Zwischenschnitten zur folgenschweren Sabotage der Brücke und leitet damit die Climax des Films ein.
Fazit: Der Film mag klischeeüberfrachtet, vorhersagbar und simpel sein, bietet dem Fanherz jedoch so ziemlich alles, was es sich wünscht und mausert sich klammheimlich zu einem Miniklassiker, wenn man sich darauf einlässt. Und gelungene Unterhaltung ist er allemal.