Da im Moment Ruhe herrscht, hab mich mal an die Review von Billu gesetzt. Ich brauch immer ein paar Tage, um einen Film zu verarbeiten.

Billu hat mir vom ersten Sehen an sehr gut gefallen, obwohl oder vielleicht weil Shah Rukh Khan hier nicht die Hauptrolle spielt und auchnie den Versuch unternimmt, den Film an sich zu reißen. Und doch ist er die ganze Zeit immer präsent, sei es durch Gespräche, dezent platzierte Plakate oder andere mehr oder weniger subtile Hinweise. In regelmäßigen Abständen erinnert er uns daran, dass er auch mitspielt, und dann meistens mit blutdruckgefährdenden Tanzeinlagen in ausgefallenen Kostümierungen und atemberaubenden Ladies, die er sich vom Body klauben muss. Doch der Dreh- und Angelpunkt des Films ist Irrfan, und er macht das großartig. Ohne große Gesten und überflüssige Worte trägt er den Film, bringt uns dazu, mit und über ihn zu lachen und zu weinen. Manchmal möchte man ihn einfach in den Arm nehmen und trösten, wenn er in Situationen gerät, die er nicht verursacht und gewollt hat.

Die Geschichte ist bekannt und schnell erzählt. Billu musste wegen Heirat außerhalb der Kaste sein Dorf Hals über Kopf verlassen, hat sich in Budbuda als Frisör niedergelassen und mit seiner Frau Bindiya zwei Kinder. Er hält sich mehr schlecht als recht über Wasser, da er mit dem
‚moderneren’ Salon seines Kontrahenten nicht mithalten kann und sich auch schlichtweg weigert, beim dorfeigenen Großprotz Geld zu leihen und sich damit in dessen Hand zu begeben. Lieber versucht er, an staatlichen Stellen Geld zu leihen, stößt aber auch hier mit seiner Offenheit auf den Falschen. Dieser Einstieg in den Film zeigt die Grundstimmung des Films, ein wenig naiv, ein wenig ironisch, sich selbst nicht allzu ernst nehmend und auf einer unbewussten Ebene melancholisch.

Irrfan versteht es großartig, mit seinen Augen, seiner Körperhaltung, meist nur ein Neigen seines Kopfes, seine Gefühle zu vermitteln. Denn Billu ist kein Mann der vielen Worte. Irrfan ist für mich einer der ausdrucksstärksten Schauspieler Indiens. Der Regisseur Priyadarshan nutzt die Stärken Irrfans und vermeidet glücklicherweise plumpe Komik und alberne Witze. Der leise Humor von Billu und seine schlagfertige Interaktion mit den teilweise doch etwas schrägen Typen des Dorfes ist sehr unterhaltsam. Der Film wirkt zurückhaltend, nur manchmal ein wenig zu ruhig. An manchen Stellen hätte er etwas gestrafft werden können.

In dieses nicht ganz einfache, aber überschaubare Leben Billus platzt die Nachricht, dass im Dorf ein Film gedreht werden soll. Da er krank im Bett liegt, bekommt er es erst mit, als die Filmleute schon da sind. Da er schon früher seiner Familie erzählt hatte, das der Held des Films, Sahir Khan, ein Freund von ihm sei, drängen ihn seine Frau und Kinder, gerade vom Krankenlager erhoben, sie mit dem Star bekannt zu machen. Doch bereits da macht er seinen Standpunkt klar. Er schämt sich seiner Armut und Hilflosigkeit, nicht einmal das Schulgeld seiner Kinder aufbringen zu können, und hat nicht vor, sich Sahir zu nähern. Hätte er das gewollt, hätte er es schon vor Jahren machen können, und nicht darauf gewartet, das dieser in seinem Dorf auftauchte. Er ist der festen Überzeugung, das nun, da der ehemalige Jugendfreund ein Star ist, dieser kein Interesse daran habe, ihn wiederzutreffen. Eine eklatante Fehleinschätzung, wie wir zum Schluss erfahren.

Doch seine Familie versteht seine Beweggründe nicht und plaudert die Sache aus. Damit bringen sie den Stein ins Rollen, der Billu völlig zu überrollen scheint. Jeder im Dorf, der sich für wichtig hält, versucht über ihn, an den Star heranzukommen. Der Song Billu Bhayankar zeigt hier sehr schön seine Hilflosigkeit, sich der ganzen Sache zu entziehen. Anfangs versucht Billu, sie sich mit einem klaren Nein vom Leibe zu halten, aber als er erkennt, das sie das Wort nicht zu verstehen scheinen, gibt er irgendwann auf und sagt zu allem nur noch ja und amen. Und hofft eigentlich nur noch inbrünstig, dass der ganze Spuk bald vorbei sei. Sein Pech, das das Dorf irgendwann zu dem Schluss kommt, das er geblufft und sie alle über den Tisch gezogen habe. Obwohl er zu keiner Stelle zu irgendjemand gesagt hat, dass er Sahir Khan kennt, wird ihm dies nun vorgeworfen und er landet letztendlich sogar bei der Polizei. Und spätestens an dieser Stelle, wenn das gefühlvolle Lied Jaoon Kahan erklingt, treibt es mir das Wasser in die Augen.

Die Welten von Sahir und Billu treffen endgültig aufeinander, als die Rektorin der örtlichen Schule mit aller Macht darauf drängt, das Billu Sahir zur Schulfeier einlädt. Sie gibt sich mit Billus Weigerung nicht zufrieden, und da Bindiya ihren Mann der Kinder wegen, deren Schulbesuch auf dem Spiel steht, unter Druck setzt, gibt Billu nach. Er versucht halbherzig, zu Sahir vorzudringen, gibt aber gleich wieder auf, als er an dessen Sekretär nicht vorbeikommt. Um ihr Gesicht nicht zu verlieren, versucht es die Rektorin auf anderem Wege, auch mit Hilfe eines aufdringlichen Angebers, der aber bei Sahir alias SRK auf den richtigen stößt. Hier blitzt Shah Rukh’s Temperament kurzzeitig durch. Ich finde es befriedigend, wie am Ende alle eingebildeten Aufschneider abgestraft werden. Doch letztendlich schaffen sie es, Sahir sagt zu und erscheint bei der Schulfeier und wird dort aufgefordert, eine Rede zu halten.

Lara Dutta als Billus Frau Bindiya spielt die Rolle, die von einigen anderen Bollywoodschauspielerinnen verschmäht wurde, sehr überzeugend. Wie eine Löwin kämpft sie um das Wohl ihrer Kinder und macht das Leben ihres Mannes nicht unbedingt leichter, als sie Geschichten über seine Freundschaft mit Sahir erfindet, aus einem allzu verständlichen und nachvollziehbaren Geltungsbedürfnis heraus. Endlich bekommt auch sie einmal die Aufmerksamkeit, die sie sonst als Frau eines armen und erfolglosen Frisörs nicht bekommt. Es wird zwar nicht erwähnt, aber ich nehme an, dass sie vor der Heirat einer höheren Kaste angehört hat und nun so manche Annehmlichkeiten des Lebens vermisst. In dem Song Khudaya Khair darf sie mal kurz träumen und SRK auf dem Fahrrad und einer Schaukel anhimmeln, worauf sie prompt aus dem Bett fällt und auf den harten Boden der Tatsachen aufwacht. Nun, das Gefühl kennen wir alle. Gott, hab Erbarmen, wie passend.

Die Kinder sind auch keine Hilfe, manchmal direkt respektlos, sehen aber am Ende ihren Fehler ein und werden von ihrem Vater wieder mit offenen Armen empfangen.

Als Comic Relief dient hier der leicht vertrottelte Hotelmanager, der der Meinung ist, schauspielern zu können und damit auch für die größten Lacher im Film sorgt. Und für die wohl schönsten Grimassen bei Shah Rukh, die ich je gesehen habe.

Ach, hab ich schon erwähnt, der prominenteste Nebendarsteller in Shah Rukh Khan’s Filmen ist auch wieder durchgängig zu sehen, sein Ehering. Hier bleibt die Frage, ob Sahir verheiratet ist oder nicht, die nie beantwortet wird. Daher auch nicht die Frage, ob der Ring zu Recht oder Unrecht im Film mitspielt. Doch langsam wird es Zeit, dass er unter den Special Appearance auftaucht.

Kommen wir nun zu Sahir alias Shah Rukh. Eigentlich hätten sie den Namen gar nicht zu ändern brauchen, den SRK spielt sich hier schamlos selbst. Und das kommt auch gar nicht so übertrieben rüber, wie stellenweise in OSO, als er doch sehr den Superstar rauskehrte, im negativen Sinne. Hier kommt er mir eher zurückhaltend vor, mit einem Zwinkern im Auge, wenn er in der weißen Nobelkarosse oder im Hubschrauber, passend mit Aufschrift King Khan, in Begleitung von mehr Bodyguards als der amerikanische Präsident, irgendwo auftaucht. Dies begründet er mit seinem letzten Film, der Kontroversen verursacht und ihm damit mehr Security beschert habe. Wie er so passend sagt, er sei der einzige Filmstar mit mehr Bodyguards als Mädchen um sich herum.

Shah Rukh versucht zu zeigen, dass abseits des Glamours auch Schauspieler nur Menschen sind und Filme zu drehen harte Arbeit. Und das meist mit einem zwar ironischen, aber auch ehrlichem Blick. Auch wenn er es manchmal zu angestrengt versucht, sieht es man ihm nach. Ich kann es mir aber vorstellen, dass es zuweilen wirklich so zugeht und bin fast geneigt, Mitleid mit ihm zu haben. Dann kommt mir aber in den Sinn, wenn er in Deutschland auftaucht, um Don 2 zu drehen, wird es nicht viel anders zugehen.

Sahirs Auftritte in Billu erfolgen meist mit einem Knall und blocken die lauernde Langeweile ab. Die Schnitte aus der dörflichen Szene in heiße Tanzszenen sind abrupt, aber wahrscheinlich so gewollt. Sie verdeutlichen hier den eklatanten Unterschied zwischen den beiden Welten. Lehnt man sich eben noch entspannt im Kinosessel zurück, jagt im nächsten Moment ein provokativ gekleideter SRK mit seinem Wildkatergang zu hämmernden Beats den Blutdruck in die Höhe. Ich bin jedenfalls dankbar, das SRK’s Schultersehne erst nach den Dreharbeiten zu Billu beschlossen hat, ihren Dienst aufzukündigen. Fragt man sich bei Love Mera Hit Hit gerade stirnrunzelnd, ob die Filmrolle mit der von Star Wars verwechselt wurde, werden wir gleich darauf aufgeklärt, das hier ein Film im Film gedreht wird, der im Weltraum spielt. Aha. Wobei mir noch immer nicht der Sinn aufgegangen ist, warum dann plötzlich in einem Dorf im tiefsten Indien weitergemacht wird. Der Zufall oder Gott will es, das Sahir der Name des Dorfes Budbuda auf der Zunge liegt. Und damit nimmt das Schicksal seinen Lauf.

In Ae Aa O wird dann der Superstar eingeführt, ein rockiger Song, bei dem schamlos allerlei Szenen aus früheren Filmen von SRK gezeigt werden. Ein weiterer subtiler Hinweis, das er sich hier selbst spielt (mal sehen, ob ich sie alle zusammenkriege: OSO, Don, K3G, Main Hoon Na, Asoka, Devdas, Chak De India, Josh, Phir Bhi Dil Hai Hindustani, DDLJ, Pardes, Mohabbatein, Kuch Kuch Hota Hai). Doch die Szene, als Shah Rukh in roter Lederjacke auf dem Motorrad die Bühne betritt, hat was und im Kino wurde es dementsprechend etwas lauter. Aber wahrscheinlich muss frau scheintod oder jenseits der 90 sein, um da nicht zu reagieren. Wir bekommen in dem Film aber auch wieder einen anständigen Anteil an Freubauch zu sehen.

Beim Dreh einer Actionszene a la Matrix dürfen wir dann zusehen, wie es hinter den Kulissen abläuft und SRK darf nass und sexy an Seilen hängend seine artistischen Fähigkeiten zeigen. Obwohl ich seinen Hang, seine Stunts selbst zu machen, verstandesgemäß nicht nachvollziehen kann, verlangt der sabbernde Teenie in jeder Frau nach mehr. Außerdem sieht der Mann in schwarz einfach verboten sexy aus. Nur die weißen Socken waren ein stilistischer Fehlgriff.

Nach einigen Komikeinlagen und erfolglosen Versuchen Billus, an Sahir heranzukommen, kommt mein Lieblingssong, Maarjani. Toll, wie hier zu sehen ist, wie ein Film im Film im Film gedreht wird. Hinter den Kulissen ist vor den Kulissen. Und dazwischen wieder mal SRK in Klamotten, die verboten gehören. Das Lied liebte ich schon, als die ersten Promos auftauchten. Achtet mal auf die einzigartige Handbewegung, die Shah Rukh in dem Lied macht. Eine eingängige Melodie und wie immer eine Heldin (diesmal Kareena Kapoor) im knappen Outfit.

Der große Auftritt von Sahir kommt bei der Schulfeier. Die Rede, die von vielen als zu schmalzig und übertrieben gespielt wahrgenommen wurde, ist für mich ein passender Höhepunkt des Films. Sahir fängt ohne Beeinflussung von außen an, über seine Freundschaft mit Billu zu reden, die ihm half, eine traurige und ärmliche Kindheit zu überleben. Vielleicht durch die dörfliche Umgebung an die Vergangenheit erinnert, an Billu, dessen Stimme er unter den tausenden suchte, die seinen Namen schrieen. Billu, der den Schauspieler in ihm weckte und ihm mit dem Verkauf seines goldenen Ohrrings half, das Geld für eine Fahrkarte nach Mumbai zusammen zu bekommen. Was eigentlich als Aufruf und Ermunterung an die Kinder gedacht war, rutscht in eine Vergangenheitsbewältigung ab, als Sahir in seine Erinnerungen eintaucht.

Was uns übertrieben erscheint, ist in indischen Filmen gang und gäbe. Mir stand jedenfalls wiederum das Wasser in den Augen. Bezeichnend ist auch, das Priyadarshan diese Rede nur einmal aufnahm und SRK dann nach Hause schickte, als dieser sie noch mal wiederholen wollte.

Als Billu diese Rede hört und versteht, das er sich in seinem Freund getäuscht hat, das sich dieser noch immer an jede Kleinigkeit liebevoll erinnert, verlässt er die Szene mit dem befriedigenden Gefühl, das sein Freund ihn nicht vergessen hat. Das ist alles, was er wollte.

Ich bin Priyadarshan dankbar, das er die Szene nicht in eine tränenreiche Wiedersehensszene in der Schule versenkt hat, sondern die Wiedervereinigung der Freunde in sein Haus verlegte. Allein, nur mit der Familie Billus als Zeugen. Und wichtig ist, Sahir kommt zu Billu, nicht anders herum. Allerdings erinnert die Szene etwas an die Wiedersehensszene in OSO. Mit dem Versprechen, sich nicht wieder aus den Augen zu verlieren, trennen sich die beiden Welten wieder, endlich miteinander ausgesöhnt und leichteren Herzens.

Sicher hatte Shah Rukh in dem Film nicht so viel zu tun, wenn er auftauchte, dann in Szenen, die er kaum zu spielen brauchte oder in den Songsequenzen, wo er das machte, was er am besten kann. Doch wäre ohne ihn der Film nicht vollständig gewesen. Ich bin gespannt auf die beiden gelöschten Szenen, von denen SRK sprach und ob es wirklich richtig war, sie rauszunehmen.

Irrfan hat den Film getragen und als Kontrapunkt gegen SRK standgehalten, eine reife Leistung. Billu ist sicher nicht der beste Film, aber auch nicht so schlecht, wie manche ihn machen. Er ist unterhaltsam und ehrlich und allein wegen der Tanzszenen sollte man ihn wenigstens einmal auf großer Leinwand gesehen haben.

Noch ein Gedanke, der mir im Auto auf dem Heimweg kam. Bitte steinigt mich nicht, aber was wäre es für ein Film geworden, wenn SRK den Billu gespielt hätte und, sagen wir, Salman den Superstar?!