Swades (Heimat) kam 2004 in Indien in die Kinos und schildert die innere Zerrissenheit eines in den USA lebenden Inders und die Entwicklungsprobleme Indiens.
Shah Rukh Khan spielt diesen Inder, Mohan Bhargav, der für die NASA arbeitet und sich anscheinend total in die amerikanische Lebensweise integriert hat. So steht schon seine amerikanische Einbürgerung kurz bevor. Trotzdem fehlt ihm etwas, immer öfter wandern seine Gedanken an sein altes Kindermädchen (Kishori Balal) zurück, die ihn praktisch aufgezogen hatte und ihm nach dem Unfalltod seiner Eltern eine große Stütze war. Nach seinem Studium in den USA brach jedoch der Kontakt ab und er macht sich nun große Sorgen um sie und fühlt sich schuldig für sein Versäumnis.

Ermuntert durch seinen Freund nimmt er sich Urlaub und fliegt nach Delhi, um Kaveriamma zu suchen. Doch in dem Altenheim, in dem sie leben sollte, ist sie nicht mehr, eine Frau hat sie vor Jahren zu sich in ihr Dorf Charanpur geholt.

Mohan leiht sich von einem Freund einen Wohnwagen, da er sich nicht auf die vorzufindenden Verhältnisse verlassen will und macht sich auf den Weg nach Charanpur. Diese Reise, bei der er neben seiner geliebten Kaveriamma auch in seiner Kindheitsfreundin Gita (Gayatri Joshi) seine große Liebe findet, wird zu einer Reise zurück zu seinen Wurzeln und führt zu einem Umdenken, was erstrebenswert ist im Leben. Konfrontiert mit Analphabetismus, Kastensystem, dem Mangel an dem Notwendigsten wie Strom begreift Mohan, wie wichtig es ist, sein Wissen und Können im eigenen Land zum Wohle seines eigenen Volkes einzusetzen. Doch die Entscheidung zwischen seiner Arbeit und seinem Leben in den USA und einer Zukunft in Indien fällt ihm schwer.

Spoiler
Swades ist eine anschauliche Reise vom zwar modernen, aber technisch kalten Ambiente in den USA ins ländliche Indien voller Leben und neuen Eindrücken, die nicht nur in Mohan zu einer Änderung mancher Ansichten führt. Auch der Zuschauer wird auf diesen Trip mitgenommen. Fernab vom kommerziellen Mainstreamkino führt uns dieser Film tatsächlich zurück zu den Wurzeln, zurück zum Wesentlichen. Und das ganz ohne großes Gefühlskino, unterspielt und verhalten zeigt uns Shah Rukh, das es auch anders geht.
Als Mohan im Dorf eintrifft und Kaveriamma wieder sieht, wird ihm klar, dass ihm das Leben in seiner Heimat fremd geworden ist. Jeder Tag birgt neue Überraschungen, als ihm Gita und ihr kleiner Bruder Chicu ihre Welt zeigen. Gita ist in die Fußstapfen ihrer Eltern getreten und arbeitet als Lehrerin in der Dorfschule, um deren Existenz sie kämpfen muss. Kaveriamma lebt bei den Beiden, Waisen wie Mohan, und kümmert sich um den Haushalt. Sie, die als Kind verheiratet wurde, kurz darauf ihren „Mann“ verlor und selber nie Kinder hatte, hat hier bei Gita eine Aufgabe gefunden, anstatt im Altersheim auf den Tod zu warten.

Mohan verliebt sich in die selbstbewusste Gita und auch wieder in seine Heimat, obwohl er all die Probleme sehr klar sieht. Er versucht, Gita bei ihrem Kampf auch gegen das Kastensystem zu unterstützen. Doch noch ist sein Wunsch, nach Amerika zurückzugehen und Kaveriamma mit sich zu nehmen größer. Kaveriamma fällt die Entscheidung jedoch schwer, solange Gita noch unverheiratet ist, also versucht Mohan auch hier zu helfen. Immer mehr wird Mohan in das Leben und die alltäglichen Probleme Charanpurs verstrickt, er gerät jedoch unter Zeitdruck, denn sein Urlaub geht zu Ende und seine Arbeit bei der NASA wartet. Er nutzt seine letzten Tage, um dem Dorf mittels eigener Stromgewinnung zu zeigen, wie man sein Schicksal selbst in die Hand nehmen kann, ehe er wieder abreisen muss, um sein Projekt in den Staaten abzuschließen.

Nach seinem oscarnominierten Meisterwerk Lagaan wartete Ashutosh Gowariker mit einer eher leisen Stimme gegen das noch immer in Indien vorherrschende Kastensystem auf. Wahrscheinlich zu leise, denn der Film war in Indien unverständlicherweise, aber nicht überraschend, kein Erfolg. Dafür aber im Ausland, wo seine Subtilität wohl eher verstanden wurde. Sein englischer Titel We are the people verdeutlicht das Anliegen des Films anschaulich. Denn Veränderungen müssen unten anfangen, bei den Menschen. Man sollte sich nicht darauf verlassen, dass Staat und Politik dies tun.
Trotz der enttäuschenden Ergebnisse in den indischen Kinos erhielt Shah Rukh für seine Rolle in Swades völlig verdient den Filmfare Award als bester Hauptdarsteller und AR Rehman den Award für die beste Filmmusik. Der Film räumte mehrer Preise ab und entwickelt sich dank DVD langsam aber sicher zum heimlichen Klassiker, den auch die Inder wiederentdecken.

Gowariker ist es hoch anzurechnen, das er nach seinem überwältigenden Erfolg mit Lagaan versuchte, Themen anzusprechen, die ihm wichtig waren, aber nicht unbedingt populär in Indien. Er hat sicher nicht mit dem gleichen Ergebnis gerechnet, dazu war die Thematik doch zu umstritten und die Umsetzung zu unspektakulär, doch die meist negativen Kritiken und die Reaktion seiner Landsleute dürfte doch enttäuschend für ihn gewesen sein.
Ohne den Film an sich zu reißen, liefert Shah Rukh in der reservierten Darstellung des Mohan, eines NRI (non residental Indian), der im Film einmal scherzhaft als No Returning Indian bezeichnet wird, eine seiner besten schauspielerischen Leistungen ab. Unterspielt und bedächtig, ohne all seine üblichen oft kritisierten Manierismen schildert er sehr berührend und ohne pathetisch erhobenen Zeigefinger das Dilemma der meist im Ausland ausgebildeten indischen Elite. Oft kehren sie nicht zurück, verführt von Möglichkeiten, die ihnen in Indien nicht offen stehen. Doch Erfolg und Geld sind nicht alles, ohne seine Wurzeln verkümmert der Mensch, wenn er es nicht schafft, ganz neue Wurzeln zu schlagen.

Debütantin Gayatri Joshi zeigt, das sie die richtige Wahl für die Rolle neben Shah Rukh war, hier hätte jede etablierte Schauspielerin Bollywoods deplatziert ausgesehen. Ihre eher unterkühlte Chemie mit Shah Rukh mochte ich sehr, ihre Stärke, ihre Ziele zu verfolgen und die Art, Mohan in die Schranken zu weisen und gleichzeitig seine Denkfehler zu verdeutlichen, machen den Film interessant. Das sie ihre Arbeit über ihre Liebe stellt und Mohan nicht einfach blindlings folgt, ist ein ganz neuer Ansatz, den ich bisher noch nicht gesehen habe.
Kishori Balal als Kaveriamma ist einfach die Idealbesetzung, man möchte sie in den Arm nehmen und kann sie sich gut als Ersatzmutter für Mohan vorstellen. Mit ihrem leisen Humor nimmt sie so mancher Szene die Schärfe.

Der Rest der Besetzung, die fast wie ein echtes Dorf daherkommt, dient ausschließlich der Handlung, es sind gute Schauspieler und so manche Typen darunter, aber keine großen Namen. Aber die braucht der Film auch nicht, der sich größtenteils um die Entwicklung des Hauptprotagonisten dreht. Trotzdem lässt Shah Rukh jeder Figur den nötigen Raum, es macht einfach Spaß, ihn so natürlich mit den anderen Darstellern, und sei die Rolle noch so klein, interagieren zu sehen. Auch wenn er dafür mal auf einem Motorroller als die Beilage in einem Sandwich dienen darf. Alles wirkt einfach echt, als würde Shah Rukh da mal eben durchs Dorf spazieren und gar nicht auffallen. Und trotzdem, oder gerade wegen seiner totalen Integration in seine Umgebung ist sein Charisma im ganzen Film zu spüren, seine Magie breitet sich einfach über die ganze Handlung aus.
Sogar Aamir Khan taucht kurz in der Kinoszene auf, allerdings als achtjähriger Knirps auf der Leinwand, als Yaadon Ki Baaraat aus dem Jahre 1973 läuft.

Gowariker zeigt Mohans Erfolg im Beruf ganz anschaulich gleich als Einleitung. Er durfte sogar bei der NASA drehen und liefert eindrucksvolle Bilder. Der Übergang ins ländliche Indien ist dann schon ein Kulturschock, nicht nur für Mohan. Doch der Film kommt ganz ohne Holzhammernationalismus aus, er vermittelt ein ehrliches Wir-Gefühl ganz aus den alltäglichen Handlungen seiner Protagonisten, die versuchen, Fortschritt und Tradition in Einklang zu bringen, ohne sich zu verlieren. Durch teils erschreckend realistische Szenen, die fast ohne Dialoge auskommen, wird uns kraftvoll die Kluft zwischen dem sicher schon modernen Stadtleben und dem täglichen Überlebenskampf im ländlichen Indien vor Augen geführt. Überhaupt ist die Kameraarbeit erwähnenswert. Gowariker schafft es, auch kleine Dinge groß erscheinen zu lassen und so teilweise fast einen epischen Eindruck zu hinterlassen.

Einige meinen, der Film wäre zu lang. Aber Gowarikers Filme sind nun mal nicht kurz und ich kann auch nicht sagen, welche Szenen raus müssten, ich mag den Film einfach in seiner ganzen Länge. Im Gegenteil, einige der gelöschten Szenen hätte ich noch gern dabei gehabt, vor allem die, in der Gita Mohan verarztet. Es wird auf simple Schwarz-Weiß-Malerei und vordergründige Action verzichtet, allerdings darf Shah Rukh einmal in einen Wassertank springen und nass im Unterhemd durchs Bild laufen, auch der Humor und die Romantik werden auf ein Mindestmass heruntergefahren. Die Romantik zwischen Mohan und Gita wird sehr elegant in eher subtilen Szenen wie der Duschszene oder beim Ankleiden vermittelt, die doch weit mehr berühren. Wunderbar auch die Szene, als Mohan durch sein „schlechtes“ Beispiel Gita dabei hilft, den Kindern eine wichtige Lektion in Bezug auf die Bedeutung der Heimat zu vermitteln…

Apropos Wasser, dem kommt in der Handlung und der Entwicklung von Mohan eine sehr entscheidende Rolle zu. Ja, ich weiß, Shah Rukh nass ist ein kreislaufgefährdender Zustand, aber ich meine es noch anders. So schleppt Mohan anfangs eine ganze Batterie an Wasserflaschen mit sich herum, um nicht in die Verlegenheit zu kommen, das vorhandene Wasser zu trinken. Selbst in Gitas Haus trinkt er das von Kaveriamma angebotene Wasser nicht, sondern stellt es mit einer kleinen, aber durchaus wichtigen Geste beiseite. Doch auf der Bahnfahrt nach seinem Treffen mit Haridas, das ihm anschaulich die wirklich wichtigen Dinge vor Augen führte, trinkt er das erste Mal das heimische Wasser, er hat Tränen in den Augen, als er dem kleinen Wasserträger, der mit den paar Paisa seinen Lebensunterhalt verdient, die Münze in die Hand drückt. Eine Münze, so klein in ihrem Wert und doch so groß in ihrer Bedeutung, dass er sie sich sogar noch von seinem Begleiter leihen muss. Dies ist der erste Schritt seiner symbolischen Rückkehr, die über dem ersten Eintauchen seiner Füße in den Fluss, über seine Tauchexkursion im Wassertank bis hin zum rituellen Waschen am Ende des Films führt. Dieser subtile Einsatz eines Stilmittels ist für Bollywood bemerkenswert.

Auch äußerlich ist eine deutliche Wandlung sichtbar. Hat Mohan anfangs noch dunkle Schatten unter den Augen und sieht allgemein abgezehrt aus, bessert sich sein Aussehen peu a peu während des Aufenthalts in Charanpur. Als er sich endlich überwindet, den Wohnwagen zu verlassen und auf einer heimischen Liege schläft, kehrt er auch körperlich zurück.
Über den Wassertank und die Wassermenge, die da erst aus der Quelle tröpfelt und später unter Hochdruck auf die Welle schießt, breiten wir physikalisch gesehen gnädigerweise den Mantel des Verständnisses für Logiklöcher in indischen Filmen. Ich hab zwar schon von Weitwinkel usw. gehört, aber bei manchen Innen und Außenmaßen war dann doch schon eine klitzekleine Abweichung festzustellen.

Aufgelockert wird der Film durch wunderschöne Songsequenzen aus einem sehr traditionellen Soundtrack, die nicht nur eingängige Melodien, sondern auch wunderbare Bilder liefern. Nicht spektakulär, aber zutiefst berührend hat Rehman einen Soundtrack geliefert, der durchweg zur Stimmung des Filmes passt. Sei es Yun Hi Chala Chal, das Lied, das einfach mitreißt und mitsummen lässt, Yeh Tara Woh Tara, als Mohan mit der symbolischen Beseitigung der trennenden Leinwand der Dorfbevölkerung klar macht, wie wichtig Zusammenhalt ist, Saanwariya mit den ergreifenden Bildern, Pal Pal Hai Bhaari, der Ram-Sita Song mit einem nachdenklichen Einsatz von Mohan, das zurückhaltende Dekho Na oder das unaufdringliche Yeh Jo Des Hai Tera, wo Rehman selber singt, der Soundtrack mag beim ersten Hören nicht umhauen, doch seine Lieder haben Ohrwurmqualität, die sich nachhaltig einschleichen.
Lagaan hat mich beeindruckt, doch Swades hat mich tief drinnen berührt. Man sollte die beiden Filme nicht vergleichen, wie man auch Aamir und Shah Rukh nicht vergleichen sollte. Das sind zwei völlig verschiedene Dinge. Still und leise hat sich der Film in mein Herz geschlichen, ohne dass ich es anfangs merkte, doch da bleibt er nun, immer wieder eine Freude anzusehen.
Und wer nach dem Anschauen dieses Films noch immer nicht versteht, der muss mit Mohans eigenen Worten selbst hingehen und es sehen. Sonst wird er es nie verstehen…