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February 7, 2008

Fernsehproduzentin und Autorin Nasreen Kabir hat intime Kenntnis des indischen Kinos und hat mehrere Bücher über das Thema „Bollywood, die Geschichte des indischen Kinos [2001] verfasst. 2005 produzierte sie den zweiteilige Dokumentarfilm „The Inner and Outer World of Shah Rukh Khan“ – ein intimes und ausgedehntes Porträt des Mannes. Hier spricht sie mit CNN über den Bollywood-Superstar.

CNN: Wie würden Sie Shah Rukh Khan beschreiben?
Nasreen Kabir: Nun ja, als ich ihn das allererste Mal traf, kam er zu spät. Er war vier Stunden zu spät für ein Interview, das ich machen sollte, und ich war verständlicherweise ärgerlich. Aber wenn man Shah Rukh trifft, vergisst man alles andere. Er hat diese Art von Persönlichkeit und er ist sehr bezaubernd. Ich habe einmal zu Shah Rukh gesagt: „Wenn Sie hier sind, sind Sie vollständig da und wenn Sie gegangen sind, sind Sie vollständig weg.“ Und so ist Shah Rukh wirklich. Wissen Sie, er ist sehr, sehr präsent im Moment. Er ist ein Mann des Augenblicks und seine ganze Persönlichkeit ist sichtbar für Sie und ist mit Ihnen geteilt in diesem Augenblick.

CNN: Wie bringen Sie das unter einen Hut? Die Tatsache, dass er so charmant und so freundlich und bezaubernd und doch so schwierig festzunageln ist. Ist das das Zeichen von Divenhaften Eigenschaften oder ist es einfach so, dass er tatsächlich sehr beschäftigt ist?
Nasreen Kabir: Ich denke, der Grund ist: In der indischen Kultur beobachten Sie, dass es sehr unhöflich ist „nein“ zu jemandem zu sagen. Daher gibt es die Tendenz „Später, ich versuche es, rufen Sie mich zurück“ und so weiter zu sagen. Aber Sie sagen niemals nein, weil es als herablassend (ablehnend) und kalt gilt und die indische Kultur unterstützt diese Art von Verhalten nicht wirklich. Nehmen Sie also jemanden wie Shah Rukh, den vielleicht 50 Menschen am Tag oder in der Stunde treffen wollen. Nicht nur Fans, wir reden über Geschäftliches: andere Produzenten, Regisseure, Autoren, Werbeleute usw. Er muss also zu einer Menge Leute nein sagen. Daher mag es manchmal scheinen, er benehme sich wie ein Star oder ein bisschen wie eine Diva; aber eigentlich kann er es kaum bewältigen und ich glaube, dass er eigentlich achtundvierzig in vierundzwanzig Stunden braucht.

CNN: Was, glauben Sie, sind die Prioritäten in seinem Leben?
Nasreen Kabir: Ich denke, für Shah Rukh Khan kommt die Familie an erster Stelle. Er mag eine Milliarde Fans oder zwei Milliarden Fans haben, aber er widmet sich wirklich vollständig seinen Kindern, seiner Frau, seiner Schwester und dem Andenken seiner Eltern.

CNN: Wie würden Sie seine Frau Gauri beschreiben?
Nasreen Kabir: Ich denke, sie hat ein sehr starkes Gefühl ihrer selbst. Shah Rukh’s Ehefrau ist jemand, die sehr unabhängig ist. Sie hat einen gewissen inneren Frieden und sie ist nicht sonderlich an Filmen oder der Filmwelt interessiert. Daher ist es für sie kein Problem, etwas abgesondert zu bleiben. Zudem ist sie auf der anderen Seite sehr direkt (ehrlich, aufrichtig) und bodenständig; und sie begreift, wenn Leute auf sie beide zukommen, tun sie dies, um Shah Rukh zu treffen. Sie weiß, dass sie einige sehr enge Freunde hat, auf die sie sich verlassen kann und Shah Rukh sagt immer – und es ist vermutlich wahr – das Gauri sehr schüchtern ist, und das ist es wohl, was es ist. Sie mag den Leuten unnahbar erscheinen, aber ich denke, sie ist ziemlich schüchtern. Aber sie hat ein großartiges Gefühl für die Tatsache, dass er der Star ist und sie ist freut sich für ihn.

CNN: Ist Religion ein wichtiger Bestandteil der Erziehung ihrer Kinder?
Nasreen Kabir: Nun, da Gauri Hindu und er Muslim ist, möchte er, dass seine Kinder das Beste beider Religionen kennen und somit später vielleicht wählen, was sie wollen. Aber er möchte, dass sie die Vorzüge beider Religionen und was sie bieten können, erkennen. Deshalb werden Sie sehen, dass er Eid – welches das muslimische Fest jedes Jahr ist – feiert und genauso das hinduistische Neujahrsfest Diwali. Er spricht auch davon, Weihnachten zu feiern. Viele Menschen in Indien sind an diese Art von Verbindung von verschiedenen Religionen gewöhnt. Es gibt diese starke Verständnis der eigenen Religion, aber auch eine Anerkennung der jeweils anderen Religionen. Religion, jede Religion ist so gegenwärtig in Indien, so dass, wenn Sie eine Mutter haben, die Hindu ist und einen Vater, der Muslim ist, wäre es schwer den einen oder anderen auszuschließen. Und Shah Rukh ist ein sehr weltlicher Mann und er glaubt daran, alle Religionen zu schätzen und seinen Kindern zu ermöglichen, beide Religionen zu achten. Aber klar ist: Shah Rukh ist sehr gottesfürchtig und er glaubt an Allah.

CNN: Sie sagen, er sei weltlich aber auch gottesfürchtig?
Nasreen Kabir: Das sage ich. Weltlich in dem Sinne, dass er seine Religion anderen nicht aufzwingen will oder er alle ihre Regeln befolgt. Aber in Indien bedeutet weltlich „alles umfassend“, das man jeden akzeptiert: Hindus, Muslime, Buddhisten, Jains, das man Menschen nicht auf Grund ihrer Religion beurteilt.

CNN: Was bedeutet Shah Rukh Khan für Bollywood?
Nasreen Kabir: Ich würde sagen, Hindi Kino fokussiert sich in jeder Generation (und ich würde sagen, das passiert alle zwanzig Jahre) auf einen Schauspieler, einen Schauspieler mit einem vollkommen magischen Erfolgsrezept. Es gibt kein bestimmtes Rezept, warum der jeweilige Schauspieler die Führung übernimmt, aber Sie werden sehen, dass alle zwanzig Jahre Sie einen neuen Star im Hindi-Kino haben. Und ab den frühen Neunzigern nahm Shah Rukhs Persönlichkeit auf der Leinwand zu. Die Verehrung wuchs. Und schließlich hat er den Platz Nummer 1 eingenommen. Und das passiert tatsächlich alle zwanzig Jahre. Ich glaube, dies ist ein Kreislauf und jetzt ist seine Zeit. […] Ich würde nicht sagen, dass er auf seinem Höhepunkt ist, weil ich glaube, er hat noch viele, viele große und wichtige Filme zu machen. Aber ich würde sagen, er ist der Mann von heute. Und das indische Kino ist ohne Shah Rukh Khan kein star-übersätes Kino. Er ist der Star des heutigen Kinos.

CNN: Was macht ihn zu einem solch großen Star?
Nasreen Kabir: Ich denke, als Shah Rukhs Filme begannen, populär zu werden, waren die Helden, die er spielte, gebildete, der Mittelklasse angehörende Stadtmenschen. Und diese Art von Held spiegelt die indische Mittelklasse wieder, die jetzt zahlenmäßig wächst. So stellte er einen Helden dar, der nicht wirklich besonders sozial oder politisch beunruhigt war, sondern er war ein Spaß liebender Held mit einer Menge Herz. Und in den großen Filmen der Neunziger wie DDLJ und KKHH war er der Held. Diese Filme sind grundsätzlich Liebesgeschichten. Sie sind im Grunde Filme über Familie und über „du-bekommst-das-Mädchen-das-du-willst“. Sie sind nicht wirklich politisch oder so etwas, aber seine Art der Popularität fällt zeitlich mit dem Anwachsen der Mittelschicht in Indien zusammen. Das Streben nach Erfolg, nach Leistung – und hier ist ein Held, der einen Status in der Gesellschaft bereits erreicht hat und dessen einziges Ziel Liebe ist.

CNN: Hat es Shah Rukh Khans Filmauftritten geschadet, dass er kein ausgebildeter Tänzer ist.
Nasreen Kabir: Ich denke, er müht sich ab mit dem Tanzen, aber er hat so viel Charme und so viel Charisma. Wenn Sie eine Tanzszene anschauen, bin ich sicher, dass Sie sein Gesicht ansehen. Sie schauen nicht auf seine Tanzschritte und seine Füße. Wenn Sie einem echten Tänzer zusehen würden – einem anderen Schauspieler wie Hrithik Roshan, der z.Zt. beste Tänzer im indischen Kino – würden Sie auf seine Füße, seine Hände, seinen Körper schauen. Aber bei Shah Rukh sind Sie fixiert auf sein Gesicht, seine Hände, seine Bewegungen. Er sagt oft, er macht diese Art großer Geste, die die Illusion von Tanz vermittelt. Aber ich denke, die ganze Persönlichkeit wirkt so anziehend auf die Fans und Leute, die ihn mögen, dass sie nicht wirklich auf seine Füße schauen – wir wissen also nicht, ob er ein guter Tänzer ist.

CNN: Warum, glauben Sie, ist die Beziehung zu der Choreographin und Regisseurin Farah Khan so stark?
Nasreen Kabir: Nun, Sie wissen: Farah Khan hat als Choreographin begonnen, sie hat viele der Tanzszenen choreographiert, die Shah Rukh gespielt haben könnte. Und seit den Neunzigern hat sie viele Lieder choreographiert, die Shah Rukh auf der Leinwand tatsächlich aufgeführt hat. Ich denke, was Shah Rukh anspricht, ist, dass Farah ein sehr ehrlicher Mensch ist. Sie ist ein Mensch, der rundheraus spricht, und er mag ehrlich Menschen. Er mag Menschen, denen er trauen kann und die nicht unaufrichtig sind oder Hintergedanken haben. Er macht Leute, die geradeheraus sind und mehr als alles mag er Arbeiter. Er mag Menschen, die auf eigenen Beinen stehen und hart arbeiten. Und Farah ist dies mit Sicherheit. Sie ist ein richtiger Arbeiter. Sie hat ein unglaublich intuitives Talent. Sie ist eine fantastische Choreographin und eine Choreographin für das Kino. Vielleicht nicht für die Bühne oder für Live-Auftritte, aber sie versteht etwas von Kamera, sie versteht etwas vom Schneiden und sie ist sehr, sehr gut für das Kino. Und ich glaube, wenn sie zusammen sind, schätzen sie gegenseitig ihren Humor. Sie ist auch sehr schnell. Sie will einen Song, eine Szene sehr, sehr schnell beenden und ich denke, Shah Rukh mag das. Er mag Menschen, die schnell sind, weil sein Verstand sehr, sehr schnell sich bewegt und arbeitet. Wenn man sich langsam vorantastet, glaube ich, dass er ungeduldig werden kann. Und Farah ist unglaublich schnell und sie sprechen die gleiche Sprache und sie vertrauen einander. Ich denke, sie sind wirklich ein gutes Team.

CNN: Wie hat sich die Kultur Bollywoods über die Jahre verändert?
Nasreen Kabir: In der alten Zeit des Hindi-Kinos, welches jetzt Bollywood genannt wird, gab es eine Situation, die eher dynastisch war. So gab es den Großvater, den Vater und den Sohn und alle waren große Stars. Es gab sogar Dynastien von weiblichen Stars oder Schauspielerinnen, die Großmutter und so weiter und so weiter. Aber wenn man sich die letzten sagen wir 50 Jahre im indischen Kino ansieht, sind es die Außenseiter, die Jungs, die absolut keine Verbindung mit der Industrie haben, die große Stars wurden.
In den 50ern gab es Dilip Kumar. Er war sagenhaft beliebt und der beste, für mich einer meiner liebsten Schauspieler, und er schnitt extrem gut ab. In den 70ern gab es Amitabh Bachchan, der große, große Star im indischen Film. Es gab keinen wie ihn. 35 Jahre herrschte er und er hat überhaupt keine Verbindung zum Film. Seine Familie hatte nichts mit dem Film zu tun. Und dann gibt es Shah Rukh Khan, der auch ein Außenseiter ist, der keine Verbindungen mit dem Film hat, der vom Theater und Fernsehen und aus Delhi kam – noch nicht einmal ein Junge aus Bombay. Und er hat es in der Industrie geschafft. Eigentlich mögen die Industrie und die Fans Dynastien, aber sie mögen auch Außenseiter. Heute leben wir in einer Welt, in einem Indien, in dem zählt, was Du machst, nicht so sehr was Dein Vater macht. In anderen Worten hätte sie früher zu Dir gesagt: „Hallo, wie geht’s? Und was macht Dein Vater beruflich?“ Dann hättest Du geantwortet: „Er in Arzt“ oder „Rechtsanwalt“ oder was auch immer. Heute sagen sie: „Was machst Du beruflich?“ Mit anderen Worten: Es spielt nicht wirklich eine Rolle, ob Du von einer Dynastie von Schauspielern abstammst. Du musst gut sein. Und das Filmpublikum ist kritisch und eher hart – Du bist nicht so gut, wie Dein letzter Film. Du bist so gut, wie Deine letzte Rolle [im Sinne von Spule, Filmrolle – Anm.d.Ü.] Zu Beginn des Films, in der Mitte und am Ende habe sie ihre Meinung über Dich, den Film und überhaupt allem geändert. Es gibt einen großen Trugschluss über das indische Publikum, der besagt, dass es alles aufleckt. Das ist absolut falsch. Ein indischer Film kommt am Freitag ins Kino, Sonntagabend hat das gesamte Land entschieden, ob er ein Hit oder ein Flop ist. Sie geben ihm 48 Stunden. Wenn es Sonntag ein Hit ist, ist alles gut und die Verleiher und Produzenten lächeln. Wenn nicht, bricht die Hölle los und es ist vorbei. Das Publikum kommt aus dem Kino und sagt Dir sofort, was es denkt. Er ist gut, er ist Blödsinn, wir haben so was schon hundertmal gesehen, der Star ist zu dünn, zu dick, zu klein, zu groß… Du weißt alles. Aber sie können ein Film sofort ablehnen. Das indische Publikum ist sehr kritisch.

CNN: Was, denken Sie, hält die Zukunft für Bollywood bereit?
Nasreen Kabir: Was im Moment im indischen Kino passiert, ist dass jeder Film die Maßstäbe, mit denen er beurteilt wird, ändert. Die Kameraarbeit, das Aussehen ist anders, die Orte sind anders und jeder Film erfindet das Rad neu. Daher ist es eine sehr, sehr schwere Zeit für Filmemacher in Indien, weil sich die Sachen so schnell ändern. Noch dazu lautet die große Frage immer: „Werden unsere Filme dem Westen gefallen?“ Ich denke, dass es noch keine echte Beziehung zwischen westlichem Publikum und indischen Kino gibt. Die Zeit wird kommen, aber noch gibt es bestimmte Dinge, die für den Westen ziemlich schwierig sind.
Eines ist die Länge der Filme. Die meisten Leute mögen nicht einen Film durchstehen, der länger als zwei Stunden dauert. Das zweite sind die Untertitel, die Leute mögen keine Untertitel lesen. Und drittens: Wenn Sie Hollywood anschauen – das Genre des Musicals ist vorbei. Es gibt gelegentlich Musical-Filme, alle paar Jahre vielleicht. Ich weiß nicht, welches der letzte war, Chicago vielleicht, oder wann etwas ein großer Hit war. Sonst sind sie nicht mehr an Musicals interessiert wie früher, also muss man sie davon überzeugen, dass die Geschichte interessant ist, dass die Songs gut sind. Es sind also viele Dinge und viele Hürden zu überwinden. Ich denke, den großen Ausschlag wird geben, dass viele Asiaten, die im Westen leben und arbeiten, eine große Kraft, eine großer Einfluss sein werden. Und sie werden vielleicht langsam mit ihrem eigenen Enthusiasmus ihr Freunde und die Freunde ihrer Freunde dazu bekommen, sich in das indische Kino zu verlieben. Es ist sehr ansteckend, wenn man es tatsächlich sieht. Es ist ein großer Spaß, aber es folgt anderen Konventionen und ich glaube, solange das Publikum keine Beziehung zu dem Kino hat, können sie nicht wirklich anfangen, die Filmstars zu lieben oder sich für das Sujet zu interessieren. Sie müssen irgendwie den Weg ins Kino finden, ein Ticket kaufen und sich im Dunkeln hinsetzen und eine Beziehung zu diesem Kino entwickeln. Ich glaube nicht, dass das schon passiert ist.

CNN: Wie, denken Sie, sind in dieser Hinsicht die Chancen von Om Shanti Om in Großbritannien gut zu laufen?
Nasreen Kabir: Ich würde sagen, OSO kann gut laufen, weil es ein großer Spaß ist. Aber der Film ist aufgebaut auf vielen Querverweisen. Er bezieht sich auf eine ganze Periode des indischen Kinos in den 70ern. Es gibt eine Menge Insider-Witzen über Stars, Filme, Songs und so weiter. Wenn man diese Witze nicht alle versteht, bin ich nicht sicher, ob man es so lustig findet. Er ist nicht wirklich ein Verulkung, aber auf eine Art eine Parodie, eine sehr liebevolle Parodie auf das indische Kino. Wenn man diese ganzen Hinweise nicht versteht, bin ich nicht sicher, dass er so gut funktioniert. Ich denke, im Hinblick auf Unterhaltung ist er gut. Er mag etwas schwierig sein wegen all der Insider-Witze.