Der junge Raees aus Gujarat hat einen Traum: Geld zu verdienen, um der Armut zu entkommen und seine Leute zu unterstützen. Und er hat einen Vorsatz, den ihm seine Mutter mitgegeben hat: Kein Geschäft ist zu gering und kein Glaube größer als das Geschäft. Solange man dabei niemandem Schaden zufügt. Also verdingt er sich schon als Kind für Alkoholschmuggler und macht sich da mit Witz und Cleverness einen Namen. So weit, so gut…

Doch nun ist Gujarat, der Heimatstaat von Mahatma Gandhi, dem Anführer der indischen Unabhängigkeitsbewegung, der Alkohol rigoros ablehnte, der einzige indische Bundesstaat, in dem Alkohol offiziell verboten ist. Doch die Prohibition hat besonders unter der armen Bevölkerung zu einem verstärkten Konsum von illegalem, meist schwarz gebranntem Alkohol geführt, der immer wieder zu Erblindungen führt und schon zahlreiche Todesopfer gefordert hat.

Man mag davon halten, was man will, doch ein noch so gut gemeintes Verbot von oben führt unweigerlich zu einer Rebellion von unten. Wird ein Produkt, für das es noch einen Markt gibt, für illegal erklärt, entsteht ein unkontrollierbarer Schwarzmarkt, der dieses Produkt auch noch verteuert, da Produktion und Vertrieb mit hohen Strafen belegt ist. Dazu kommen Korruption in Politik und bei der Polizei, gewalttätige Machtkämpfe und blutige Bandenkriege.

Aufgewachsen in diesem Milieu macht sich Raees (nun Shah Rukh Khan) mit seinem Freund selbstständig und steigt bald zum Verdruss seiner Konkurrenten zu einem ernstzunehmenden Rivalen auf. Dabei steht nicht unbedingt persönliche Bereicherung im Vordergrund, er benutzt seine Einnahmen auch dazu, den Menschen in seinem Viertel unter die Arme zu greifen und hat immer ein offenes Ohr für ihre Sorgen und Nöte, unabhängig von ihrer Religion. So versucht er, sein Geld in ein Wohnprojekt für die ärmere Bevölkerung zu investieren, versorgt sein Viertel bei einer Ausgangssperre mit Lebensmitteln oder von Arbeitslosigkeit bedrohte Frauen mit Nähmaschinen.

Doch sein Aufstieg bleibt auch von Seiten des Gesetzes nicht unbemerkt, Raees gerät ins Visier von Inspektor Jaideep Majmudar (Nawazuddin Siddiqui), der es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Schwarzmarkthändler zur Strecke zu bringen. Vor allem Raees, der sich auch mal seiner Kontakte in der Politik und bei der Polizei bedient, um den unbequemen Polizisten aufs Abstellgleis zu schieben. Der smarte und charismatische Schmuggler, der ihm immer wieder mit klugen Manövern durch die Lappen geht, wird zu einer regelrechten Obsession von ihm.

Derweil macht Raees der Schönheit des Viertels den Hof, Aasiya (Mahirah Khan), heiratet sie und wird Vater. Doch über dem, was so schön hätte sein können, liegt der dunkle Schatten der Illegalität. Hass und Neid der Konkurrenten und Missgunst bestochener Politiker zwingen Raees immer wieder, Leben und Freiheit auch mit äußersten Mitteln zu verteidigen. Und auch auf dem Abstellgleis bleibt Jaideep beharrlich Raees auf den Fersen. Alles läuft auf einen Showdown heraus, den nur einer gewinnen kann…

Ein so düsteres und konfliktgeladenes Thema in einem Hindi Film, oh ha. In kaum einen anderen Film bin ich mit so großen Erwartungen gegangen wie in diesen. Die zum größten Teil erfüllt worden sind. Ja, wir bekommen hier einen Thriller, der zu Recht erst ab 16 ist (obwohl wieder mal Kinder deutlich unter 10 im Publikum saßen). Einen Film, der mit realistischeren Handlungen, Bezügen zu tatsächlichen politisch oder religiös motivierten Ereignissen, einer eher ländlichen Umgebung, aber auch zwei fesselnden Hauptfiguren deutlich aus dem üblichen Rahmen fällt. Spannung, Action und bildgewaltige Szenen wechseln sich ab mit ruhigen, einfühlsamen Momenten zu zweit. Ein gut integrierter Soundtrack, der den Erzählfluss nicht stört und teils mit wunderbaren Bildern aufwartet, rundet das Ganze gefällig ab. Besonders im Gehör blieb mir der Song Saanson Ke, bei dem ich am liebsten noch im Kino sitzen geblieben wäre.

Für Drehbuch und Regie zeichnet Rahul Dholakia (bekannt z.B. für Lamhaa) verantwortlich, seine klaren Vorstellungen schaffen es, die Fähigkeiten der beiden Hauptdarsteller auszuschöpfen und einen ernsten Film zu schaffen, der unterhält, aber auch nachdenklich macht. Für die Produktion tat sich Shah Rukhs Firma Red Chillies Entertainment mit Excel Entertainment zusammen. Die Musik stammt von Ram Sampath, die Texte von Javed Akhtar und Amitabh Bhattacharya. Für eine eingängige Item Nummer, die nicht nur als visuelles Leckerli für die Männer dient, darf Sunny Leone als Laila kurz Raees um flirten und ihm dabei unwissentlich eine Waffe liefern, ehe dieser sich aufmacht, eine ihm gestellte Falle aufzubrechen.

Der Zuschauer befindet sich in einem ständigen Zwiespalt zwischen Gut und Böse, denn Shah Rukh spielt den Gangster hier nicht kalt und stylisch, sondern so charmant und in den gewalttätigen Szenen so überzeugend, dass man einfach mitfiebern muss, wenn er mal wieder um sein Leben kämpfen oder die Polizei austricksen muss. Für Raees ist der Schmuggel auch als Mann noch ein Spiel, ein Katz und Maus Spiel mit der Polizei, bis tödliche Gewalt ins Spiel kommt. Hier wird aus dem Spiel organisiertes Verbrechen und der innere Abstieg von Raees beginnt.

Ich kann aber nicht anders, ich ertappe mich dabei, Entschuldigungen für seine Handlungen zu finden. So bereichert sich Raees nicht selbst, er nimmt die Chancen wahr, die sich ihm bieten, er bedient ein Bedürfnis mit „gutem“ Alkohol, wo sonst gepanschter Fusel zum Einsatz käme, er „reagiert“ ja nur auf die tödlichen Fallen, die ihm seine ehemaligen Bundesgenossen stellen usw. Aber ja, er besticht, betrügt und tötet, und bezahlt am Ende auch den Preis dafür.

Shah Rukh habe ich hier mal wieder als Schauspieler gesehen, er wird auf der Leinwand zu Raees, incl. Bart und Kajal umrandeter Augen. Er darf sein Alter mit allen Fältchen in einem ausdrucksstarken und lebendigen Gesicht zeigen. Sein Spiel ist konzentriert, es gibt bis auf eine Ausnahme kein Overacting, doch selbst diese rührte mich eher zu Tränen, als dass sie störte. Vor allem die emotionalen Szenen zwischen ihm und Mahira, leider viel zu wenige, leben von Blicken, Gesichtsausdrücken und Körpersprache. Und frau darf ihn mal wieder in traditioneller Kleidung bewundern, nebst exotischer Kulisse, auch das Fanherz möchte hin und wieder mal verwöhnt werden… Ist es eigentlich verwerflich, wenn man Shah Rukh in der Übergangsszene vom Jungen zum Mann schon am Nabel erkennt? Mhm…

Noch ein Wort zu Shubham Chintamani, der den jungen Raees spielt. Er hat der Vorgeschichte Tiefe verliehen und war mit seinem frechen Witz und Lausbubenblick sehr überzeugend. Rahul hat sich erfreulicherweise genug Zeit genommen, um den Werdegang von Raees darzustellen und seine Beweggründe zu veranschaulichen. Es war an keiner Stelle langweilig. Die Brille als Vehikel in der Erzählstruktur ist schon ein besonderer Kniff, sie verschafft sprichwörtlich Durchblick, wird bei Auseinandersetzungen sorgfältig weggesteckt, den Lebensumständen angepasst und auch mal als erschreckend wirksame Waffe zweckentfremdet. Ich sehe meine Brille jetzt mit ganz anderen Augen…

Mahira selbst hat mir sehr gut gefallen, sie wirkt zwar leicht unterfordert, ist aber mehr als schmückendes Beiwerk. Sie gibt in ihrer Rolle als Aasiya Raees den notwendigen Halt, als er zusammenbricht, kontert aber auch mal, wenn er zu weit geht. Nawazuddin ist ein starker Gegenpart zu Shah Rukh, er spielt den korrekten, fast schon kalten Polizisten mit einer Mission so überzeugend, dass man Gänsehaut bekommt. Der Einzelgänger, der nur mit seinem Hund zusammenlebt und durch die Versetzungen immer wieder entwurzelt wird, wirkt fast anmaßend und arrogant in seiner Position des moralisch Stärkeren. Schmuggler und Polizist stehen sich auf Augenhöhe gegenüber, beide haben eine Vision und beide verraten sie am Ende.

Raees bricht seinen Grundsatz, niemandem zu schaden, eigentlich unwissentlich (die Konkurrenten und ihre Schläger, die er in Notwehr tötet, betrachte ich jetzt mal als nicht unschuldig), aber trotzdem ist dieser Bruch in seiner Menschlichkeit etwas, womit auch er, dessen Unrechtsbewusstsein einen blinden Fleck hat, nicht leben kann. Er übernimmt die Verantwortung und stellt sich quasi freiwillig, um Frau und Kind noch Schlimmeres zu ersparen.

Auch Jaideep überschreitet als Vertreter von Recht und Gesetz am Ende eine Grenze. Als Erzähler der Geschichte von Raees schildert er die Ereignisse in Teilen aus seiner Sicht und zieht am Ende seine Bilanz.

Das Duell zwischen den beiden Protagonisten zieht sich durch die ganze Handlung. Ein Duell, das der Gesetzeshüter gewinnt, ja gewinnen muss, doch dessen moralischer Sieger am Ende Raees ist.