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11 Nov 2008

Es ist beinahe Mitternacht in Mannat. Und Shah Rukh Khan, der die Kinder ins Bett gebracht und den Letzten seiner Besucher verabschiedet hat, redet mit mir bei Kaffee und Zigaretten. Er trägt, wie meistens zuhause, tiefsitzende Jeans, aus der kühn sein Slip hervorlugt, ein weites T-Shirt und Turnschuhe. Andererseits er ist ja auch zuhause! Und wir sitzen in seinem Wohnzimmer.

Eigentlich Gauri Khans Wohnzimmer, dessen Größe, Möbel, Farbe, Lampen und andere Insignien so verblüffend spektakulär sind, das sie einem den Atem rauben. Shah Rukh und den Kindern ist es nicht erlaubt, hier wild herumzutoben. „Aber wenn Gauri nicht in der Nähe ist, tun wir alles, wir lassen sogar den Hund pinkeln (???)“, sagt er, die Augen spitzbübisch zusammengekniffen und den Mund zu diesem berühmten schiefen Grinsen verzogen.

Zu dieser Stunde ist er hellwach und scharf wie ein Einpeitscher. Irgendwo im Haus schläft sein Trainer Prashant. Wenn er Lust dazu hat, selbst wenn es 2 Uhr morgens ist, wird Shah Rukh ihn aufwecken und für 35 Minuten trainieren. „Ich schwitze gern“, erzählt er mir. „Ich trainiere nonstop, es gibt keine Ruhepause, keine Musik, da ist nichts Kompliziertes – ich mache nur eine Runde von Übungen, nehme dann ein Bad und esse etwas.“

Aber wir reden nicht übers Training, noch über Filme, nicht einmal über Salman Khan. Wir sprechen über Shah Rukh selbst. Er überrascht mich mit den Worten, „Ich bin ein Schizophrener, der frei herumläuft. Ich bestehe aus zwei Menschen, Shah Rukh 1 und 2. Einer arbeitet für den anderen. Der Kerl, für den ich arbeite, ist ungeheuer erfolgreich – aber er ist nicht ich. Die Leute sagen, ich spiele Shah Rukh Khan. Meine Rollen sind ein Mittel zum Zweck. Nicht echt. Meine Arbeit definiert mich. Aber ich habe keine eigene Identität. Meine Identität ist die meines Arbeitgebers, der für das Publikum tätig ist.“

Das ist derselbe Schauspieler, von dem es heißt, dass er die Leute manipuliert und Bollywood kontrolliert. „Kontrolle ist ein starkes Wort“, protestiert Shah Rukh, „ich habe nicht die Macht, obwohl ich zusammen mit Mukeshbhai und Laxmi Mittal auf der Power List aufgeführt wurde. Und dennoch, da ich ein Geber bin, bin ich imstande, viele Leute auf meine Seite zu ziehen. Größe und Integrität liegen im Geben. Ich möchte glauben, dass eine Menge Leute an Bord kommen, weil sie Dinge für mich erledigen wollen. Auch sie sind Geber. Ich muss die Leute nicht bitten, sich mir anzuschließen. Wenn ich also Bollywood kontrolliere, ist es durch Geben – nicht nehmen, niemand gibt einem Nehmer. Ich gebe, diese Leute geben, irgendwo gibt es eine symbiotische Beziehung. Aber ich denke, Ihre Idee von ‚Kontrolle‘ ist die, wenn ich das Telefon nehme und sage, ‚Bhai, mera picture ka sab show full jana chahiye,’ stimmts? (Mein Freund, alle Vorstellungen meines Films werden ausverkauft sein)“

Ich umgehe die Frage, indem ich frage, wie viele Jahre guten Kinos ihm mit 43 geblieben sind. Mit einem Pokerface antwortet er „Siebenundachtzig! Ich glaube, dass ich physisch, emotional, und filmisch unzerbrechlich bin. Zeit ist ein Maß der Schwäche. Und gutes Kino ist wie gute Gedanken… an nichts gebunden. Über Schauspielerei kann nicht geschrieben, geredet, diskutiert, analysiert werden, da 90 Prozent der Worte, die benutzt werden, um Schauspielerei zu beschreiben, ausdruckslos sind. Sie müssen die Schauspielerei fühlen. Das ist es, was ich tue. Ich habe aufgehört, mir Zeit zu lassen. Die letzten 20 Jahre sind meine beste Zeit gewesen. Ich laufe mein eigenes Rennen. Wenn Sie lang genug laufen, können Sie den Rest schlagen, weil es in diesem Rennen um die Dauer geht… nicht um die Zeit. Ich genieße es, Filme zu drehen. Doch bin ich nicht von ihrem Erfolg oder Misserfolg abhängig. Vielmehr löse ich mich von meinen Filmen. Sobald sie gemacht sind – lasse ich los. Filme sind kleine Leben. Am Freitagabend gehe ich bereits weiter. Meine Regisseure verwirrt das!“

Er selbst sieht niemals seine eigenen Filme an, zumindest nicht mit dem Gedanken, sie zu genießen, noch die von irgendjemand anderen… es sei denn, dass es wichtig für sie ist. Genauso die Familie. „Gauri und ich haben unsere Kinder zu der Haltung erzogen, dass die Filme ihres Vaters nichts Besonderes sind“, offenbart Shah Rukh. „Und das es im Leben nichts Besonderes ist, speziell zu sein, sondern das es etwas besonderes ist, gewöhnlich zu sein. Alle meine Filme handeln davon. Ich zeige das Innere eines äußerlich guten Helden. Sie wissen schon, der Clark Kent hinter Superman. Wenn er fliegen und die Welt retten würde, würden Sie geringer von ihm denken, weil er nicht cool ist und keine Strumpfhose trägt? Mein Leben ist so. Ich mag wie ein König leben, doch bin ich in meinen Überzeugungen normal, ich bin einfach, hässlich und langweilig… dennoch bin ich glücklich damit, ich zu sein.“

Und warum nicht, welcher normale Mann flirtet mit den erotischsten Heldinnen auf der Leinwand? „Na und,“ fragt Shah Rukh, „Ich liebe sie alle, teile enge Beziehungen mit ihnen, ich küsse sie allerdings nicht auf der Leinwand und habe abseits der Leinwand keinen Sex mit ihnen. Ich bin ein wenig konventionell. Ich denke nicht, dass Sex außerhalb schlecht ist. Doch habe ich zuhause eine schöne Frau. Ich denke, die echten Männer sind diejenigen, die die Frauen respektieren; diejenigen, die ihre Männlichkeit nicht nach außen tragen; diejenigen, die einfühlsam sind und freundlich… Es ist okay, ein Dandy zu sein und schwul auszusehen, anstatt zu versuchen, ein Macho zu sein; und derjenige, der für die Frauen die Türen öffnet. Wenn Sie charmant sein können, lachen und ihnen nicht das Gefühl geben, alles was Sie wollen, ist, sie ins Bett zur kriegen… werden die Mädchen Sie lieben. Ich bin ein Frauentyp. Ich habe kein Problem mit dem Gerede über mich, homosexuell und bisexuell zu sein. Ich bin Manns genug, um mit meiner sensiblen Seite in Fühlung zu stehen. Ich kann glücklich sein und dennoch weinen. Ich brauche nicht zu beweisen, dass ich heterosexuell bin. Außer meinem Sohn… dann zeige ich ihm, das ich den Sixpack noch immer habe.“

Er öffnet sich jetzt, aber es ist zu spät. Er tritt ins Freie, um mich zu verabschieden. „Ich gehe aufs Dach und bete zu den Sternen“, sagt er und überrascht mich zum zweiten Mal in dieser Nacht. „Zwei der Sterne sind meine Eltern. Allerdings bete ich um einfache Dinge. Das mein Sohn bei seiner Taekwondo Meisterschaft erfolgreich ist. Und dass meine Tochter mit ihrer Malerei zufrieden ist. Ich erzähle meiner Mama, ‚Wo du hingegangen bist, kannst du etwas Gutes tun.‘ Es muss eine Art Ausgleich für den Verlust meiner Eltern geben. Aber ich lese auch den Koran, ich bete auf Arabisch, Englisch, Hindi und hoffe, dass Gott mehrsprachig ist und zumindest eins meiner Gebete versteht. Gauri rezitiert das Gayatri Mantra. Unsere Kinder machen beides. Dieses Haus ist erstaunlich. Meine Tochter fragt, ‚Sind wir Pathans oder Punjabis?‘ Ich verwirre sie, indem ich sage, ‚Wir sind Christen!'“