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10 Jul 2010

Tausende von Deutschen standen bei der kürzlich stattgefundenen Berlinale, dem Berliner Internationalen Filmfestspielen, stundenlang bei Temperaturen unter Null Schlange, um My Name is Khan zu sehen, und brachen im Kino in stürmischen Beifall aus, sobald sie ‚Dharma Produktion‘ auf der Leinwand sahen!
Ein Schauspiel, das die Festspieldelegierte Dorothee Wenner überraschte. „Ich habe niemals gesehen, dass sich ein deutsches Publikum so über den Namen einer Produktionsfirma äußerte!“
Wenn Deutsche, die für ihre Zurückhaltung bekannt sind, in einem Kino bei einem Bollywoodfilm durchdrehen, ist es Zeit, aufzuhorchen und dem Beachtung zu schenken. Wenner entdeckt tatsächlich viele deutsche Cineasten, die infolge eines Bollywoodwahns, der im Laufe der letzten sechs Jahre den deutschen Kinoraum im Sturm erobert hat, auf eine ganze neue Weise reagieren, ‚auf eine typische indische Art‘.
Heute gibt es Hindifilme in ganz Deutschland, vom Kino über das Fernsehen, das ihnen Sendeplätze zur Primetime gibt, bis hin zu einer Flut an Heimvideos, die auf dem Markt jederzeit zu haben sind.
Der Star oder zentrale Gegenstand ist natürlich kein anderer als SRK. Als My Name is Khan (MNIK) im Februar bei der Berlinale vorgeführt wurde, sammelten sich Tausende von Fans aus ganz Deutschland in Berlin, den Verkehr aus seiner Bahn werfend. Die mehr als 3.000 Eintrittskarten für alle Vorführungen von MNIK waren minutenschnell verkauft. Angeblich wurden sogar bei Ebay Eintrittskarten für jeweils 1,000 Euro (um Rs 60.000) versteigert.
„Bollywood ist nicht mehr ein Nischensortiment, es wird zum Mainstream und MNIK kennzeichnet den Anfang der Eroberung des weltweiten Kinos durch Bollywood“, sagt Hanns-Goerg Rodek, der Filmredakteur von Die Welt, einer deutschen Tageszeitung.
Shah Rukh Khan bleibt die größte Manie, obwohl Aamir Khan und Hrithik Roshan auch ihr Gefolge haben. „Ich mag Aamir mehr“, sagt Antje Glück, eine Forschungsgelehrte an der Freien Universität, Berlin. Kricketliebhaber Antje hat mit Freunden in Deutschland Aamirs Lagaan gesehen (dreimal), Rang de Basanti und The Rising. Aber es war, nachdem sie Main Hoon Naa gesehen hatte, als sie sich dafür entschied, Hindi zu lernen.
„Ich will die Bollywoodfilme im Original sehen. Der synchronisierte SRK ist wirklich komisch!“ sagt die 30jährige. Die führende Darstellerin ist im Augenblick Kajol mit MNIK, aber auch Rani Mukherjee und Aishwarya Rai sind mit ihren Filmen wie Chalte Chalte und Dil Ka Rishta sehr beliebt.
Obwohl noch immer auf Hollywood fixiert, werden sich deutsche Zuschauer des indischen Kinos bewusster und wollen mehr. Das Berliner Arsenal Institut für Film und Videokunst hat eine Reihe von indischen Filmen zusammengestellt, die bei einem laufenden Event vorgeführt werden sollen, ‚Moving Politics: Cinema from India‘ (27. Juni -29. September 2010).
„Das ist ein Versuch, dem deutschen Publikum alle Arten des indischen Kinos zu bringen, inklusive dem Regionalen und Modernen“, sagt Wenner, die auch Filmkurator ist. Von all diesen filmischen Dingen profitiert Naseem Khan, Herausgeber der Ishq, einem Bollywood Lifestyle Magazin, das der 31jährige NRI vor vier Jahren auf den Markt brachte, und das 30.000 Kopien verkauft, nicht nur in Deutschland, sondern auch in Österreich, der Schweiz, Holland und Belgien, sowie online.
„Das einzigartige ist, dass die hiesigen, deutschsprachigen Menschen das Bollywoodfieber gepackt hat und es sind nicht nur Filme, es ist der indische Lebensstil, der sich in Bollywood widerspiegelt, einschließlich des Essens, der Kleidung und des Reisens,“ sagt Khan.
Bollywood Themenparties und spezielle Events – wie die Spezialvorführung ‚Ladies Night‘ von MNIK in einem Cinemax Kino einen Tag vor seiner Veröffentlichung – sind verbreitet. „Selbst Hindi und die Tanzbewegungen Bollywoods zu lernen ist in Mode“, fügt Wenner hinzu. Während das Kino von Ray bis Raj Kapoor bekannt war, wurde Bollywood erst zum Massenphänomen, als der Unterhaltungssender RTL II anfing, deutsch synchronisierte Hindifilme zur Primetime im Fernsehen auszustrahlen.
Die überwältigende Reaktion auf Karan Johars Kabhi Khushi Kabhi Gham, der erste Film, der 2004 ausgestrahlt wurde, löste einen Trend aus, der einfach totalen Anklang fand. „Wir wählten Filme aus, die die für diesen Erfolg verantwortlichen Faktoren erfassten: eine Liebesgeschichte, eine bunte Wohlfühlkulisse, opulente Tanzszenen und SRK,“ sagt Ronja Witt, Sprecher von RTL II.
Das Programm des Senders, eine Mischung aus vielen SRK Filmen zusammen mit anderen wie Roshan und Rai, erlebte die Eroberung eines sensationellen Marktanteils, besonders beim weiblichen Publikum, und was vor zwei Jahrzehnten als kitschig abgewiesen wurde, wurde sehr ‚in‘, sagt Kritiker Rodek.
„Es gibt eine Naivität, die in Hollywoodfilmen vermisst wird, die noch immer kalkulativ sind, wohingegen diese Filme in ihren Gefühlen noch sehr naiv sind, abgesehen davon, exotisch zu sein,“ fügt Rodek hinzu, der das Wachsen des Phänomens auch dem Experimentieren, der Zeitbearbeitung und dem Eintritt von Hollywoodstudios und ihrer Verleiherstärke zuschreibt.
„MNIK war bei der Berlinale 165 Minuten lang und in den Kinos 130 Minuten. Sie schneiden die Abschnitte solcherart zu, dass die Filme den Unterschied behalten, ihre ‚Bollywoodness‘, und sich dennoch westlichen Geschmäckern anpassen. Kites, der quer über die globalen Märkte sowohl in der kurzen als auch der ungekürzten Fassungen herausgebracht wurde, ist ein weiteres Beispiel dafür, wie Bollywood versucht, eine andere Sorte Zuschauer für sich zu gewinnen“, schließt Rodek.